Es hat sicher auch mit dem Alter zu tun, wenn man sich Jahresrückblicke am liebsten spart. Die Zeit vergeht viel schneller („Wie? Schon wieder ein Jahr herum?“) und gefühlt erlebt man weniger. Obwohl, wenn ich es recht überlege – das Jahr 2018 war doch ganz schön voll. Vor allem hat sich – sicher auch aufgrund des außergewöhnlichen und langen Sommers – vieles draußen abgespielt.
Das Jahr der Kurz-Trips – schon allein deswegen „kurz“, weil der Mann nicht so lange alleine bleiben kann und soll…
Angefangen im Februar mit einer Reise nach Borkum, wieder mal. Das „Teehaus“ hatte mich zu einer Lesung aus „Spätsommer auf Borkum“ eingeladen, und der Einladung bin ich gerne gefolgt.
Zusätzlich hatte ich mir ein Hotelzimmer mit Meerblick gegönnt – zum ersten Mal. Normalerweise nehme ich ein preiswerteres Zimmer nach hinten raus – ich bin ja sowieso nur zum Schlafen dort. Und ich habe auch zum ersten Mal eine Lesung gehalten und war vorher doch ein bisschen nervös. Wie sich aber herausstellte, hatte ich mich gut, beinahe akribisch vorbereitet, es passte und klappte alles, und es war – so hoffe ich jedenfalls – für alle Beteiligten ein unterhaltsamer Nachmittag.
Ich war zum ersten Mal im Winter auf der Insel, und auch wenn ich nicht, wie sonst gewohnt, ausgiebige Fahrradtouren machen konnte, so waren doch die Spaziergänge am gefrorenen Strand unvergleichlich und wunderschön.
Nachdem ich jahrelang im Nachhinein immer geärgert habe, dass ich nicht dabei war, fand noch etwas in diesem Jahr zum ersten Mal statt: ich war tatsächlich im reifen Alter von 59 zum ersten Mal bei „Rock am Ring“ – und fand es super. So super, dass ich schon ein Ticket fürs nächste Jahr habe. Der Sohn war mit von der Partie, hat mir alles gezeigt, alles erklärt, mich mitgeschleppt zu richtig tollen Auftritten, und welchen, die ich eher *hüstel* nicht so toll fand… Aber insgesamt gefiel mir einfach die ausgelassene, entspannte Stimmung, wir hatten riesiges Glück mit dem Wetter, haben viel gelacht und hatten drei Tage einfach nur Spaß.
Quartier für Rock am Ring war übrigens, auch das zum ersten Mal, ein „Mobilheim“ auf einem Campingplatz – „Jungferweiher“ in Ulmen, ein bisschen außerhalb vom Nürburgring.
Ein Häuschen, klein, aber mit allem ausgestattet, was man braucht, den Supermarkt gleich die Straße hoch, und von der Terrasse einen unvergleichlichen Blick auf den See. Dieser Wechsel zwischen dem quirligen Festivalgelände und der Ruhe mitten im Naturschutzgebiet ist vielleicht nicht jedermanns Sache – ich fand es für mich genau richtig.
Seit einigen Jahren rumorte es in mir, an einen Ort aus meiner Kindheit zu reisen, der für mich zutiefst verbunden ist mit Sommer, Wärme, Familie, Natur, Geborgenheit, Ferien: der Ort heißt Hilpertsau, liegt im Murgtal, war in den 60er Jahren noch eigenständig, gehört inzwischen, verwaltungstechnisch gesehen, wie auch der Nachbarort Obertsrot zu Gernsbach. Das wiederum liegt in der Nähe von Rastatt, und das ist im Großraum Baden-Baden anzusiedeln. Nur, um das mal geografisch einzuordnen. Also kurz: Nordschwarzwald.
Eine Tante hatte dorthin geheiratet – einen Witwer mit sechs Kindern, zwei eigene noch dazubekommen – und im Sommer wurden regelmäßig Kinder aus der ganzen Verwandtschaft im Rheinland – wegen der guten Luft – dorthin in Ferien geschickt. Als Kind war ich mehrfach da und verbrachte herrliche Ferientage zwischen Nachbarskindern, Bienenvölkern, in Nussbäumen und Obstwiesen, an Bächen, mit Mistkäfern, Igeln und Eidechsen, kurz allem, was Ferien für ein Kind in den 60er Jahren lebenswert machte.
Was davon ist wohl noch da, fragte ich mich schon seit längerer Zeit – der letzte Besuch bei der inzwischen lange verstorbenen Tante lag, wenn ich mich richtig erinnere, fast fünfzig Jahre zurück. Wer heute in dem Haus wohnt, und ob es überhaupt noch steht – keine Ahnung. Ein Hotel gibt es am Ort wohl nicht, also habe ich für drei Tage ein Hotel in einem Nachbarort, Lautenbach, gebucht. Ich hatte auch Wanderungen in der Gegend geplant, für den Fall, dass ich an einem Nachmittag mit dem Dorf durch bin. Kurz gesagt: ich WAR an einem Nachmittag mit dem Dorf durch.
Vieles hat sich verändert – und doch im Grunde gar nichts. An manchen Stellen ist die Zeit einfach stehengeblieben. Und so waren auch plötzlich Erinnerungen wieder taufrisch, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie noch hatte. Plötzlich sah ich die große Gestalt meiner Tante in ihren geblümten Kleidern wieder vor mir, hatte die Gerüche nach Holz und Wald und Papierfabrik, auch die gibt es noch auf der anderen Seite der Murg, wieder in der Nase, sah mich wieder in den Obstwiesen und am Reichenbach entlangstreifen.
Von den Erinnerungen abgesehen ist die Gegend dort wunderschön, ich bin viel gelaufen und gewandert, und sogar auf den Lautenfelsen geklettert, was anstrengend war, aber mit einem weiten Blick über die wunderschöne Landschaft belohnt wurde.
Und noch ein Ausflug in die Kindheit und gleichzeitig auch ein Ausblick: ich habe die Eifel als Ausflugs- und Urlaubsziel wiederentdeckt. Angefangen hat alles in den 60er Jahren mit einem Urlaub auf dem Bauernhof: der Üdersdorfer Mühle, damals noch ein landwirtschaftlicher Betrieb mit Kühen, Schweinen und Hühnern, heute immer noch Ausflugsziel für Wanderer auf dem Eifelsteig, und auch Zimmer werden immer noch vermietet. Natürlich habe ich der Mühle einen Besuch abgestattet.
Daneben gab es aber auch Wanderungen rund um die Eifeler Maare, auf der Dreiborner Hochfläche, und hoffentlich noch viele weitere Ausflüge werden folgen!
Das bringt mich zu einem Fazit des Jahres, das ich gar nicht bewusst gezogen habe, das sich aber einfach ergeben hat aus dem, was ich gemacht und erlebt habe: wir sollten alle mal einen Gang zurückschalten. Mindestens einen. Es muss nicht immer noch exotischer, noch aufwendiger, noch größer, noch teurer und noch umweltschädlicher werden. Schöne Naturerlebnisse kann man auch vor der Haustür haben, menschliche Größe findet sich oft in der unmittelbaren Nachbarschaft, und eigentlich sollten wir doch alle, die es warm, genug zu essen und ein Dach über dem Kopf haben, dankbar sein, dass wir das Glück haben, so und in Frieden leben zu dürfen. Die meisten Menschen auf diesem Planeten können das nicht…
In diesem Sinne: auf ein schönes und erfolgreiches 2019!