Wer – wie ich – als sogenannte „Nachkriegsgeneration“ aufgewachsen ist, weiß, was ich meine. Die Elterngeneration, die den Krieg erlebt hat, ob als Täter oder Opfer, ist vor allem eine Generation des Schweigens. Des kollektiven Schweigens. Des „wir wollen unserer Ruhe haben“, des „das tut man nicht“ und natürlich dieses „ihr sollt es mal besser haben“. Nicht auffallen, Mund halten, etwas leisten – dann kommt man gut durch. Fragen nach dem Krieg und persönlichen Erlebnissen wurden nicht oder nur sehr oberflächlich beantwortet, Ungereimtheiten, Tabus, völlig unverständliche Reaktionen, emotionale Kälte, Berührungsängste begleiteten mich durch meine ganze Kindheit und Jugend und haben Spuren hinterlassen, die ich erstaunlicherweise jetzt, selber im fortgeschrittenen Alter, erst mit voller Wucht spüre. Vorher fand ich das alles „normal“ bzw. suchte Schuld immer bei mir selbst.
Die 68er-Bewegung hat Vieles in Gang gesetzt, die Gesellschaft veränderte sich, viele Kriegsereignisse sind aufgeklärt, untersucht, immer wieder durchgekaut worden. Aber wie wirkte sich die Traumatisierung durch den Krieg auf Einzelne aus, auf die Erziehung, auf das Klima in den Familien? Und traumatisiert war 1945 und in den Jahren danach mehr oder weniger die ganze Bevölkerung, durch Gewalt, Verlust, Grausamkeiten, Tod, Schuld, Erkenntnis dessen, was geschehen war. Verdrängung war die Folge.
Auf der Suche nach der Herkunft meiner zahlreichen Macken und Neurosen, auch aufgrund vieler Beobachtungen früher und heute, zunehmenden Fällen von Depressionen und Burn-Out in Familie und Freundeskreis bin ich vor kurzem erst auf das Thema „Transgenerationale Weitergabe von Traumata“ gestoßen. Erst seit wenigen Jahren wird überhaupt thematisiert, dass die traumatisierte Generation ihre Verstörtheit vielfach an die nächste Generation weitergegeben hat, die dieselben oder vergleichbare Störungen aufweist, ohne selbst Traumata erlebt zu haben.
Der Klappentext drückt es besser aus:
„Traumatisierte Menschen haben oft alle psychische Kraft dazu verwendet, ihre Erfahrungen, Kriegstraumata und sexuelle Gewalterfahrungen, in sich einzukapseln und vor sich und den anderen zu verstecken – und sie schweigen. Oder sie wollen andere nicht belasten – und sie schweigen. Eltern werden so gegenüber ihren Kindern zu Botschaftern des Schweigens. Auch wenn dies menschliche und verständliche, oftmals fürsorgliche Bewältigungsstrategien des Schreckens sind, so sorgt gerade das Schweigen dafür, dass die Traumata an die nächsten Generationen mit nachhaltigen Folgen weitergegeben werden.“
Im Moment lese ich dieses Buch, und es hat mir schon (bevor ich überhaupt durch bin, Stand 08.Mai 2013) etliche Aha-Erlebnisse verschafft. Und ich kann es den „Nachgeborenen“ nur heftigst empfehlen:
Udo Baer, Gabriele Frick-Baer: Wie Traumata in die nächste Generation wirken