Es begab sich an einem Tag Anfang Oktober, dass ich morgens schlaftrunken in meinen Wäscheschrank langte – und in diesem Moment dort drin ein Brett abbrach. Genauer gesagt, nicht das Brett, dem es nach wie vor gut geht, sondern diese kleinen Halterungen, die man rechts und links, vorne und hinten von innen in die Schrankwände steckt, damit das Brett aufliegt. Die waren abgebrochen, und zwar alle vier.
Ich fühlte mich (bitte, morgens um sieben!) weder in der Lage, den Schaden genauer zu begutachten, noch, eine Entscheidung zu treffen, wie es mit besagtem Brett bzw. den kleinen Halterungen weitergehen sollte. Ich zog also unter dem zusammengebrochenen Brett irgendein T-Shirt heraus, schloss die Türe und fuhr zur Arbeit.
Erste Inaugenscheinnahme des Schadens am Abend verriet mir: Materialermüdung. Die Halterungen waren glatt abgebrochen, der Pin steckte jeweils noch drin in der Schrankwand, und nur einen gelang es mir, herauszufummeln. Ersatzpins, die von anderen Schränken hier noch herumfliegen, passten allesamt nicht.
Nun ist dieser Wäscheschrank alt. Sehr alt. Mein Mann bekam ihn als junger Schauspieler im Jahre 1969 (aus Mitleid vermutlich) von einem Nachbarn geschenkt. Damals kam mein Mann mit buchstäblich nichts – außer einem großen Korbkoffer – aus Salzburg, um in Kleve ein Engagement anzutreten. Damals schon war der Schrank also nicht neu.
Inzwischen hat er (der Schrank) (der Mann glaub ich auch) sechs oder sieben Umzüge hinter sich, beherbergte nach der Wäsche auch mal Akten, Zeitschriften, Foto- und Heimtierzubehör, Kinderspielzeug, und dann wieder Wäsche, weil er nach dem Umzug in die jetzige Wohnung haargenau in mein Zimmer passte.
Aber alles hat mal ein Ende, so dachte ich. Normalerweise benutze ich Kleidungsstücke und vor allem Möbel, die ich mag, und die mir nützen, wirklich, bis sie auseinanderfallen. Auch Dinge haben eine Geschichte, die man respektieren soll. Und dieser Wäscheschrank besonders (siehe oben). Aber genug ist genug. Den Gedanken, dem Schätzchen mit Leim, Schrauben und evtl. sogar mit Schleifpapier und frischer Farbe zuleibe zu rücken, verwarf ich wieder: haben wir doch ein Ikea in der Nähe. Ikea Kaarst, sogar mit eigener S-Bahn-Haltestelle.
Und siehe da: online fand ich HURDAL. In den Abmessungen fast identisch mit dem anderen, ein schwedischer Traum in sattgrün. Selbstverständlich zum Selberzusammenbau. Die Pakete von Größe und Gewicht her sowohl für mich händelbar als auch in meinen Opel Corsi passend (bei umgeklappter Rückbank). Ich studierte die Bauanleitung im Internet: ja, schon eine Herausforderung, aber machbar. Ist ja nicht der erste Schrank, den ich zusammenbaue, manche davon sogar ohne Anleitung.
Problem: Ikea hatte gerade in Kaarst neu gebaut, der Umzug von der alten in die neue Filiale stand bevor, das alte Möbelhaus kurz vor der Schließung schon fast leergeräumt, die neue noch nicht eröffnet, und das großartige Möbelstück war vorübergehend nicht erhältlich.
Ich fixierte also das abgebrochene Brett mit ein paar Schrauben (jawohl, Frau hat sowohl Spax-Schrauben als auch Akkuschrauber im Haus!) und übte mich in Geduld. Nach der Eröffnung der neuen Filiale, die wenige Tage später bevorstand, würde der neue Schrank ja wohl wieder zu kriegen sein und der alte könnte endlich auf den wohlverdienten Sperrmüll wandern.
Das war vor vier Wochen.
Die Schrauben unterm Brett halten immer noch, allein… der neue Schrank war auch weiterhin nicht erhältlich, weder bei Eröffnung der neuen Filiale, noch danach. Schließlich fasste ich mir ein Herz und stellte online unter dem HURDAL (hach, dieses Grün!!) die Mailbenachrichtigung ein. Und zum voraussichtlich angegebenen Zeitpunkt (gestern, ein Mittwoch) kam dann auch tatsächlich eine Mail: der Schrank ist wieder in Kaarst verfügbar. Zwar nur wenige Exemplare, aber immerhin.
Sehr gut. Ich plante also umgehend das Wochenende: am Freitagabend den Schrank holen (kauft ja nicht jeder genau diesen Schrank, bis dahin sind sicher noch welche da), am Samstag zusammenbauen, vielleicht den Sonntag noch. Hach, herrlich! Lego für Erwachsene! Ich liebe es!
Das war, wie gesagt, gestern. Mittwoch. Heute Nachmittag (Donnerstag) warf ich noch einen Blick in die Webseite: nur noch ein Schrank da in Kaarst. Huch. Also flink den Feierabend umgeplant. Dann muss ich heute noch hinfahren. Dieser letzte Schrank ist meiner!
Nun stand diesem Vorhaben lediglich die Bahnfahrt von Köln nach Hause im Weg. Und es kam, wie es kommen musste: übers Handy von unterwegs wiederum den Bestand abgefragt:
„Dieser Artikel ist in deinem Einrichtungshaus zurzeit nicht erhältlich. Vorausichtliches Lieferdatum: Fr 24 Nov – Fr 1 Dez. Bitte schau während dieser Zeit noch einmal vorbei.“
Der letzte Schrank war also inzwischen auch weg. Ich mich also schweren Herzens wieder für den Mailalarm angemeldet. Beziehungsweise, ich wollte es, denn es passierte das hier:
Ups. Da ist etwas schiefgelaufen! Du hast schon eine Benachrichtigung für dieses Produkt angefordert.
Ab da sprach ich in rot.
Ja, hab ich, verdammt! Nur habt Ihr diesen blöden Schrank schon wieder nicht da!! Und nein, ich will nicht nach Düsseldorf zum Ikea fahren, ich hasse Düsseldorf! Außerdem kaufe ich aus Prinzip nur vor Ort und regional!
Nun bin ich ein Mensch, der durchaus Geduld hat, und auf ein vorübergehend nicht erhältliches Teil auch mal warten kann. So habe ich es noch gelernt im Zeitalter der drei Fernsehprogramme – Geduld haben. Aber außerdem glaube ich an so etwas wie Zeichen. Wenn es wieder und wieder und wieder nicht klappt mit einem Vorhaben, dann soll es vielleicht einfach nicht sein. Meistens stellt sich hinterher heraus, wofür es gut war, wenn etwas nicht so läuft wie gedacht. Vielleicht würde mir genau in dem Moment, wo ich den neuen Schrank im Ikea-Lager abholen will, die Decke auf den Kopf fallen. Oder sich ein Erdloch auftun. Oder Hobbits meinen Corsi entführen, weil sie auch so einen tollen Schrank haben wollen. Man weiß ja nicht.
Morgen kaufe ich Schleifpapier und sattgrüne Farbe.