Heute ist wieder so ein Tag. Ein Tag, an dem ich mich frage, ob manche Menschen eigentlich wissen, was sie da reden. Okay, das frage ich mich sowieso oft – aber vielen ist die Herkunft mancher Begriffe oder Redensarten ganz eindeutig nicht klar. Selbst Otto Normal-User im Internet nicht, Menschen, von denen man annehmen sollte, dass sie sich mit Sprache beschäftigen, wenn sie schon ihre Gedanken weltweit abrufbar veröffentlichen.
„Stegreif“ ist beispielsweise so ein Wort. Bekannt von Film, Funk und Fernsehen und vor allem von der Redensart „aus dem Stegreif“. Und nein, der Stegreif schreibt sich NICHT mit „h“ – Stehgreif –, denn er hat weder etwas mit Stehen, noch mit einem Greif zu tun. „Stegreif“ ist schlicht und ergreifend (man verzeihe mir das Wortspiel) ein altes Wort für „Steigbügel“. Und wenn man sich einen Reif (veraltet für „Ring“) vorstellt, durch den unten ein Steg läuft, hat man ihn auch visualisiert. So einfach ist das. Wenn man denn die Worte „Steg“ und „Reif“ überhaupt noch kennt. Immerhin spuckt Wikipedia zum Suchbegriff „Reif“ eine Menge Vorschläge aus, darunter eben auch den Ring. „Aus dem Stegreif“ heißt also, bildlich gesprochen, da springt einer praktisch aus vollem Galopp aus dem Sattel, um… ja, irgendwas dringend zu tun, und das völlig unvorbereitet.
Hilfreich ist beim Begriff „Reif“ übrigens auch, wenn man früher „Teekesselchen“ gespielt hat. Und wehe, es fragt jetzt einer, was „Teekesselchen“ ist.
Ein anderer beliebter Ausdruck ist „in Sack und Asche gehen“, was so viel bedeutet wie: etwas bereuen, die Schuld auf sich nehmen. Die Redensart stammt aus der Bibel: als Zeichen der Buße streute man sich Asche aufs Haupt und ging in grobem Leinen (= Sackleinen). Wie überhaupt Asche in Kirchenbräuchen immer wieder eine Rolle spielt. Aschermittwoch, remember? Es gibt da allerdings auch noch den Ausdruck „in Schutt und Asche“, der mehr mit brachialer Zerstörung und weniger mit Buße zu tun hat. Leider werden diese Ausdrücke oft verwechselt. Wenn jemand „in Schutt und Asche geht“, nur weil er etwas bereut, hat er irgendwas extrem falsch gemacht.
Das beste Beispiel seit langem habe ich heute in den Twitternachrichten einer überregionalen Tageszeitung gelesen: „Die heutige Pressekonferenz im Élysée-Palast wird für François Hollande zum Spießroutenlauf.“ Finde den Fehler. Richtig: auch, wenn es um den französischen Präsidenten geht, es ist immer noch die gute alte „Spießrute“ gemeint, und nicht die „Route“, das französische Wort für Straße. Da sind dem Kollegen ein wenig die Vokabeln durcheinandergeraten. Beim Spießrutenlauf handelt es sich um eine Bestrafungsmaßnahme von und an Soldaten, die bis ins 19. Jahrhundert hinein üblich war. Der Delinquent musste eine Gasse durchlaufen, von anderen Soldaten gebildet, und es wurde auf ihn eingedroschen mit… na? Richtig: Ruten. Wem das jetzt zu kompliziert ist, der kann sich vielleicht einfach merken, dass der Nikolaus bösen Kindern eine Rute bringt und keine Route. Und auch keinen Router.
Absichtliche Fehlinterpretationen hingegen können viel Spaß machen. Neueste Spielzeuge für Journalisten, die sich mit Social Media beschäftigen, sind sogenannte „Kuratier-Tools“. „Kuratieren“ lehnt sich an das englische „curating“ an, gemeint ist damit, Beiträge von Mediennutzern zu sammeln, zu sortieren, zu gewichten und schließlich zu präsentieren. Dafür gibt es Progrämmchen, die den Vorgang beschleunigen und erleichtern. Die Worte „Kurator“ oder „Kuratorium“ (im weitesten Sinne für „verwalten“) sind ja recht bekannt und verwandt.
So verkündet ein Kollege heute freudestrahlend, dass er zu einer Veranstaltung eingeladen ist, auf der verschiedene Kuratier-Tools vorgestellt werden.
Schweigen.
„Kuratieren?“, fragt eine Kollegin zögernd, „ist das nicht eine Operationsmethode?“
„Du meinst kürettieren.“
„Iiiihhhhh!!!!“
„Quatsch“, sagt der dritte, „das war früher eine Fernsehserie, ‚Der Kuratier des Zaren‘.“
„Und Kürassiere sind berittene Soldaten“, mischt sich der nächste ein.
„Ziemlich kurios, findet ihr nicht?“
Und, wieder an den ersten Kollegen gewandt: „Was genau sollst du da nochmal lernen??“
Ach ja, und der Titel dieses Artikels ist auch bekannt. Oder? Suchbegriffe: Heinrich Heine, Loreley. Bitte, gern geschehen.
(Reihe wird fortgesetzt)