Und seine Irrfahrten sind Gegenwart!
Woraus wir schließen dürfen, dass es im folgenden irgendwie um die Deutsche Bahn gehen soll.
Wer mich kennt, weiß, dass ich jeden Morgen, montags bis freitags, mit der Bahn von Kaarst nach Köln pendle, und abends wieder zurück. Wenn alle Bahnen pünktlich sind, brauche ich pro Strecke ungefähr eine Stunde. Eine Stunde, die man nutzen kann: lesen, Musik hören, Spanisch-Vokabeln lernen, Geschichten schreiben, dösen. Eher selten: mich mit anderen Fahrgästen unterhalten. Außer, ich treffe wirklich gute Bekannte.
Heute jedoch konnte ich zumindest auf der Rückfahrt keines dieser Dinge tun, denn… Aber der Reihe nach.
Jeden Abend steige ich in Köln in den Regionalexpress mit der Nummer 7, der von Köln (aus Münster kommend, die Streckenführung an sich ist schon ein Witz), nach Krefeld fährt. Ich steige vorher aus, in Neuss, und nehme von dort die S-Bahn 28 nach Kaarst.
Heute jedoch wurde in Köln Hbf durchgesagt, dass der Regionalexpress wegen einer Streckensperrung über Grevenbroich ausweichen und die Haltepunkte Dormagen und Neuss nicht anfahren würde.
Nun gibt es, auf einer zweiten Trasse, noch eine S-Bahn, die S11, die von Bergisch-Gladbach über Köln Hbf und Neuss bis Flughafen Düsseldorf fährt. Und dabei auch solche Käffer wie Köln-Worringen, Dormagen, Nievenheim und Neuss-Norf abklappert. Ich fragte also den Bahnbeamten auf Gleis 9, was denn mit der S-Bahn sei, ob ich die denn nehmen könne nach Neuss. Ja, lautete die Antwort, die könne ich nehmen. Ich könne auch über Düsseldorf fahren.
Hätte ich das doch nur getan…
Also aufs nächste Gleis und auf die S-Bahn warten, die um 17.54 Uhr fahren soll. Und ab da habe ich meine Familie mit regelmäßigen Mails unterhalten, die ich, wie üblich, im Betreff mit dem Wort „Zustand“ ausgefüllt habe. Denn meistens dienen sie dazu, meinen Angehörigen meine derzeitige Laune, meine Lage, meinen Geisteszustand und eine Ahnung dessen zu vermitteln, was sie erwartet, wenn ich zu Hause eintreffe.
Hier nun das Mailprotokoll:
17:59:32 MEZ
Betreff: Zustand
Erbost.
Strecke vom Regionalexpress gesperrt, und die S-Bahn hat 20 Minuten Verspätung – wenn’s reicht.
Grob gerechnet bin ich dann frühestens kurz nach halb acht zu Hause.
So viel zum Thema Feierabend.
18:22:32 MEZ
Betreff: Zustand
Sitzend. In der proppenvollen, verspäteten S11
18:48:02 MEZ
Betreff: Zustand
So, jetzt haben sie uns in Köln-Worringen aus dem Zug geschmissen. Auch die S-Bahn-Strecke ist gesperrt. Und das hat in Köln keiner gewusst??? Angeblich gibt es Schienenersatzverkehr, der erste Bus hatte 20 Plätze… Aber keine Durchsage, keine Ansage, nichts.
19:04:16 MEZ
Betreff: Re: Zustand
Keine Panik. Immerhin sitze ich jetzt in einem Bus. Bin gespannt, ob er mich in Dormagen rauslässt. Von da geht es angeblich per Bahn weiter.
19:07:40 MEZ
Betreff: Zustand
Toll. Der Fahrer fragt die Fahrgäste nach dem Weg.
Sagt mal, bin ich im falschen Film???
19:14:13 MEZ
Betreff: Hahahaha
Jetzt sind wir auf der Autobahn Richtung Dormagen – Stau
Gleich kommt bestimmt irgend einer rausgesprungen und sagt: „Ätsch, versteckte Kamera!!“
19:42:43 MEZ
Betreff: Zustand
Zwischenfrage: dürfen Busse heutzutage überhaupt ohne Navi unterwegs sein??? Vorne beim Fahrer sitzt jetzt immer irgendjemand von den Passagieren, der sich in der Gegend auskennt und den Fahrer lotst.
20:03:19 MEZ
Betreff: Zustand
Keine Bahn ab Dormagen. Weiter im Bus. Auf dem Weg nach Norf. Der Bus fährt nur bis dort. Bin gespannt, wie es dort weitergeht. Und ob überhaupt.
20:17:25 MEZ
Betreff: Zustand
Keine Bahn. Keine Ansage, keine Anzeige, nichts. Kommt eine Bahn, kommt keine? Und wieso fährt der Bus dann nicht durch bis Neuss? Sitze jetzt mit drei anderen in einem Taxi von Norf nach Neuss.
20:28:56 MEZ
Betreff: Yippi
Ankunft Neuss Hauptbahnhof. Nächste S28 in einer Viertelstunde. Das Leben ist schön.
20:46:13 MEZ
Betreff: Zustand
Euphorisch!!! Ein Zug! Eine Bahn! Eine S28!!! Und auch noch pünktlich!!!
Übrigens: draußen herrschten gefühlte 5 Grad plus und es regnete. Und zwar seit Stunden. Von kalten Füßen und Hunger rede ich gar nicht erst. Um kurz nach 21.00 Uhr (statt um 18.30 Uhr) war ich dann endlich zu Hause. In geheizten Räumen. Überglücklich schloss ich meine Familie in die Arme und machte mir als erstes einen heißen Kakao.