Martin Sixsmith: Philomena

Klappentext: Philomena Lee ist selbst fast noch ein Kind, als sie hochschwanger im Kloster Zuflucht sucht. Doch statt Barmherzigkeit erwartet sie dort ein unerbittliches System. Denn die Nonnen von Roscrea verkaufen jedes uneheliche Kind in die USA. Mit drei Jahren wird auch Philomenas Sohn Anthony nach Amerika verschickt. Mutter und Sohn können einander nicht vergessen, aber erst 50 Jahre später erfährt Philomena mit Hilfe des Journalisten Martin Sixsmith, was aus Anthony geworden ist.

Wer den Film erst noch sehen und sich überraschen lassen möchte, sollte jetzt nicht weiterlesen!

Diese wahre Geschichte aus dem Irland der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ist mit der großartigen Judi Dench in der Hauptrolle verfilmt worden und läuft gerade (Stand: März 2014) in den Kinos. Das Thema Adoption, um nicht zu sagen, von insbesondere der katholischen Kirche vermittelte Zwangsadoptionen, ist nicht grundsätzlich neu, das gab es ebenso in anderen Ländern (Spanien, staatlich organisiert in der DDR). Überall versuchen auch heute noch Kinder und Eltern einander wiederzufinden. Philomena Lee steht stellvertretend für viele dieser Mütter, denen man ihre Kinder weggenommen hat, und gleichzeitig ist ihr Fall etwas Besonderes.

Eigentlich mag ich diese „Bücher zum Film“ nicht, in denen die Handlung noch einmal nacherzählt wird, oder die mit einem aktuellen Cover neu herausgebracht werden, weil gerade eine Verfilmung stattgefunden hat. Meist ist es umgekehrt: ich sehe mir die Verfilmung eines Buchs an, das ich schon kenne. Für mich haben diese „Bücher zum Film“ immer ein bisschen den Beigeschmack, dass manche Menschen offenbar überhaupt erst ein Buch lesen, wenn sie im Kino einen Film gesehen haben, der ihnen gefallen hat.

In diesem Fall ist es jedoch anders. Im Film geht es um die Suche von Philomena nach ihrem Sohn – das sorgfältig recherchierte Buch „Philomena“ von Martin Sixsmith erzählt jedoch, wie es dem Sohn ergangen ist, also genau den Teil der Geschichte, den der Film zum größten Teil ausspart. Martin Sixsmith ist selbst der Journalist, der Philomena auf der Suche nach ihrem Sohn Anthony begleitet hat. Das verspricht zum einen eine gewisse Gründlichkeit in der Recherche, aber auch Sachlichkeit, mit der er sich dem Thema nähert.

Man langweilt sich keine Sekunde. Martin Sixsmith schreibt sehr interessant und unterhaltsam, er hat eine Fülle von Informationen über das Leben von Anthony (der in den USA nach seiner Adoption Michael Hess hieß) zusammengetragen. Sixsmith war auf Interviews mit Familie, Freunden und Kollegen und weitere Quellen angewiesen, um die Geschichte zu rekonstruieren, denn Anthony ist 1995 an der Immunschwächekrankheit Aids gestorben, bevor seine Mutter ihn wiederfinden konnte.

Ein wenig heikel finde ich, dass er Gedanken und Gefühle von Anthony wiedergibt, die er unmöglich wissen kann und die er vermutlich aus den Aussagen seiner Interviewpartner nachempfunden hat. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass er sich im Rahmen des Verantwortbaren bewegt. Und gerade die genauen Schilderungen von Anthonys Gedanken und Gefühlen machen das Buch so lebendig. Ein weiteres Plus und die Abrundung ist der quasi nebenbei stattfindende geschichtliche Exkurs in die gesellschaftlichen Umstände im Irland der 50er Jahre. Ebenso gibt das Buch einen Rückblick auf die ersten Aids-Fälle und den Umgang bzw. Nicht-Umgang der amerikanischen Politik mit der neuen und furchteinflößenden Krankheit.