La Gomera im September 2012
Am Anfang war die Recherche. Nein, nicht nach dem nächsten Reiseziel, sondern es ging einfach nur um eine Google-Suche nach einem Schauplatz für mein Buch. Einer von mehreren Schauplätzen, um genau zu sein. Wie ich dann an die Kanarischen Inseln geraten bin, weiß ich nicht mehr genau, aber es sollte eine der kleineren sein, auf der mein Protagonist sich vor der Welt versteckt. El Hierro war zu klein, also: La Gomera.
Und wie man es als gewissenhafter Autor so macht, wenn man etwas beschreiben will, dort aber noch nicht war – man klickt sich durchs Internet. Reiseseiten, Fotos, Wikipedia, Google, Google Maps, alles was geht. Was für ein schönes Fleckchen Erde – und gar nicht so weit weg. Eigentlich. Um die Wahrheit zu sagen, waren meine bisher entferntesten Reiseziele innereuropäisch. Ich war noch nie jenseits unseres Kontinents, und obwohl die Kanaren politisch zu Spanien gehören, liegen sie geografisch auf einer Höhe mit Nordafrika.
Diese Insel hat mich fasziniert. Immer tiefer bin ich in Beschreibungen eingetaucht, habe schließlich meine Kapitel geschrieben, die dort spielen – und dann war der Wunsch übermächtig, diese Insel endlich auch zu sehen. Vor Ort weiter an meinem Buch zu schreiben, damit die Eindrücke unmittelbarer sind. Und vielleicht dort meinen „Helden“ Ramón zu finden.
Und Bilder wie dieses sind natürlich magisch:
Die Suche nach Ramón
Hauptzweck meine Reise: abschalten und zur Ruhe kommen. Und das kann ich am besten in freier Natur, mit möglichst wenig Menschen, und viel Bewegung. Allerdings war ich auch fest davon überzeugt, dass mein Protagonist wirklich irgendwo in den Lorbeerwäldern auf La Gomera wohnt, und so habe ich die Reise vor allem als zweiwöchigen Wanderurlaub geplant, über den ich auch ein Tagebuch schreiben wollte, um meine Eindrücke unmittelbar festzuhalten. Zwei Fliegen mit einer Klappe.
Mittwoch, 5. September 2012
Die Hinreise begann gegen zehn Uhr morgens und hatte folgende Stationen: Flughafen Düsseldorf, Air Berlin-Flug nach Teneriffa-Süd, Taxi zur Hafenstadt Los Christianos, Fähre nach San Sebastian auf La Gomera, Mietwagen nach Hermigua, Quartier in der ersten Urlaubswoche in der Apartment-Anlage „Jardin La Punta“.
Die Fähre von Teneriffa/Los Christianos nach San Sebastian/La Gomera hatte so ihre Tücken. Ich wusste aus meinen Reiseführern und Beschreibungen, dass die Schifffahrtsgesellschaft am Hafen Gepäckwagen stehen hat, bei denen man seinen Koffer abgeben kann.
Nun nahm ich in meiner Unbedarftheit an, das sei nur zur Aufbewahrung (abgeben = zur Aufbewahrung, aufgeben = zur Beförderung, der Germanist in mir sieht darin einen kleinen, aber deutlichen Unterschied), und behielt meinen Koffer bei mir, da ich ohnehin nirgendwo anders hin wollte und er mir daher nicht lästig war.
Der zweite Irrtum: wenn eine Fähre mit dem Ziel „La Palma“ angekündigt steht, fährt sie auch nach La Palma. Dass sie dabei aber Zwischenstation auf La Gomera macht, und dass dies MEINE Fähre war – und außerdem die letzte an diesem Tag – stand nirgendwo und ich habe es erst begriffen, als es schon beinahe zu spät war. Jedenfalls sprach mich einer der Mitarbeiter an, ob ich nach La Gomera wolle, und als ich das bestätigte, schnappte er sich meinen Koffer, verlud ihn in den Lieferwagen, stieg ein und fuhr damit weg. Hallo?
Ein Ehepaar aus England, das ebenfalls die Fähre nahm und das Procedere schon kannten, beruhigte mich: der Lieferwagen fährt aufs Schiff, fährt in San Sebastian wieder vom Schiff herunter und lädt die Koffer wieder aus. Aha. Gut zu wissen.
Und tatsächlich lief es genau so ab, wie diese beiden reizenden Menschen es mir gesagt hatten. Überglücklich nahm ich sowohl meinen Koffer als auch den Schlüssel für den Mietwagen in Empfang, der am Hafen von San Sebastian auf mich wartete, hielt mich an die Empfehlung, gleich am Hafen die Tankstelle anzufahren und sowohl zu tanken als auch einen Kanister Wasser und etwas zu Essen mitzunehmen, und fuhr in der Abenddämmerung Richtung Hermigua.
Als ich dort ankam, war es bereits dunkel und ich so müde, dass ich der Umgebung kaum Beachtung schenkte, und ohnehin kaum etwas hätte sehen können. Eines fiel mir aber sofort auf: eine wunderbare Luft, gleichermaßen nach Meer wir nach irgendwelchen Kräutern duftend, gemischt mit Holz. Wunderbar.
Donnerstag, 6. September 2012
Als ich am nächsten Morgen mit dem Tageslicht erwachte und zum ersten Mal vom Balkon herunterschaute, verschlug es mir die Sprache: was für ein einzigartiger Ausblick aufs Meer, auf die Bucht, auf Teneriffa mit dem Berg Teide in der Mitte, der mich immer wieder an eine Pyramide erinnerte.
Als Erstes nahm ich mir vor, die nähere Umgebung, sprich: Hermigua selbst zu erkunden und stiefelte nach dem Frühstück auf dem Balkon tatendurstig los. Mein Ziel war, am anderen Ende der Bucht das Meerwasserschwimmbecken zu erreichen. Nicht, um zu schwimmen, ich wollte es erst einmal nur sehen. Ich lief Hänge hinunter, durch Bananenpflanzungen, Schilf, und überall wurde ich von lautem Rascheln begleitet: Eidechsen, die wie verrückt flüchten, wenn sie Schritte hören. Ich musste mich erst daran gewöhnen, glaubte ich doch ständig, dass jemand hinter mir ist. Aber nein, ich war ganz alleine, und das mehr oder weniger mitten im Ort. Viel Bevölkerung oder Touristen gibt es halt hier nicht, doch dazu später.
Ich merkte schnell, dass man sich diese Insel erobern muss, sich umgewöhnen, die Natur akzeptieren, Vertrauen zu haben. Die Straße zum Meerwasserschwimmbecken war gesperrt, und ein großes Schild klärte über die Gefahren von Steinschlag auf. Trotzdem habe ich mich hingetraut (und ich war nach wie vor völlig allein), und duckte mich förmlich vor der Felsenwand, die rechts von mir steil aufstieg. Fast schon bedrohlich. Aber vielleicht lag das auch an dem Schild, dass ich mich unwohl fühlte… 😉
Später am Tag bin ich dann noch ein wenig durch den eigentlichen Ort gestreift. Hermigua hat laut Wikipedia 433 Einwohner, die sich auf sechs Gemeinden verteilen, die entlang einer Straße liegen, die aus den Bergen kommt und durch ein breites Tal über sechs oder sieben Kilometer gestreckt bis ans Meer führt. Also ein Dorf im Grunde. Trotzdem gibt es alles: mehrere kleine Supermärkte, Tankstelle, Stadtpark, Banken, Kulturzentrum, Touristeninformation, sogar ein Museum, das „Museo Etnologico“, das ich später auch noch besucht habe. Man muss das alles nur erst einmal finden. Wenn man mit dem Auto durch den Ort fährt, ist man ganz schnell vorbeigerast und muss umdrehen und neu suchen. Stadtpläne in Reiseführern sind auch nur bedingt hilfreich. Erstaunlich viele Menschen sprechen hier übrigens Deutsch – das ist nicht gerade förderlich, um seine Spanischkenntnisse zu erweitern.
Übrigens, hier sind sie, die Zwillingsfelsen. Gleich oberhalb der „Molino de Gofio“, einer sehr hübschen kleinen Anlage (mit angegliedertem Andenkenladen natürlich), in der man etwas über den Anbau von Bananen und die Lebensweise der Bevölkerung lernen kann.
Freitag, 7. September 2012
Heute sollte es endlich mit dem Wandern losgehen. Ich hatte mir am Vorabend verschiedene Wanderrouten angesehen und mich für eine „Einsteigerroute“ von etwa zweieinhalb Stunden Dauer entschieden. Unter anderem führt sie durch einen Tunnel unter dem Berg hindurch.
Erster Haken: Laut Beschreibung ist der Start des Wanderwegs auf der Verbindungsstraße zwischen der GM1 und der GM2, das sind zwei der drei Hauptstraßen auf La Gomera. Parkplatz an der unteren Haarnadelkurve. Leute, ich bin vom Niederrhein – für mich sind das alles Haarnadelkurven!! Berg rauf, Berg runter, Kurve rechts, Kurve links, und das alles mit einer Höchstgeschwindigkeit von 40 Stundenkilometern. Nach einigen Wendemanövern, weil ich natürlich schon wieder daran vorbeigerast war, hab ich den fraglichen Parkplatz dann gefunden.
Zweiter Haken: Den Tunnel konnte man leider nicht benutzen, es stand Wasser drin. Und mit meiner schwächlichen Taschenlampe durch einen stockdunklen Tunnel, in dem Wasser wadenhoch steht, alleine – lieber nicht. Also blieb nur der Weg über den Berg. Und auf der anderen Seite logischerweise wieder herunter.
Wo ich eigentlich an diesem Tage gewandert bin, wusste ich hinterher nicht mehr so genau, denn die Karten und Wegbeschreibungen sind nicht immer sehr treffend. Jedenfalls war ich irgendwo in der Gegend um El Cedro und Los Aceviños unterwegs, da, wo ich eigentlich auch Ramón vermutet hatte. Ich habe einen kleinen Weiler gefunden, dessen Häuschen alle verlassen und teilweise überwuchert und eingestürzt waren, aber leider nicht seine Holzhütte.
Dafür gab es aber Menschen, die auf Wanderwegen – die teilweise stark bergauf gehen – auf Flip-Flops unterwegs sind. Manche lernen es eben nie. Mein Mitleid dafür, dass sie über den anstrengenden Weg klagten, hielt sich demzufolge sehr in Grenzen, und ich stiefelte in meinen Wanderschuhen fröhlich weiter.
Von diesen Figuren mal abgesehen sah ich stundenlang im Wald niemand. Keinen Menschen. Stille. Sehr ungewohnt für jemanden, der zwar halbwegs ländlich wohnt, aber tagsüber in einer Millionenstadt arbeitet, die nie schläft. Die Stille war geradezu ohrenbetäubend, und ich scharrte mit den Schuhen, um mich zu vergewissern, dass ich nicht plötzlich taub war. Beeindruckend, aber in keiner Weise beängstigend, im Gegenteil. Wenn einem jemand Böses zufügt, dann der Mensch, nicht die Natur.
Manchmal gab es aber doch Geräusche, ganz leise. Eidechsen, die an sonnigen Stellen unter Geraschel davonrennen, einzelne Vögel, ab und zu auch eine Taube oder weit oben am Himmel Greifvögel. Einmal habe ich in der Ferne auch eine Ziege meckern hören.
Wieder zurück in Hermigua war ich verschwitzt und verklebt. Was wäre passender, als den Swimmingpool zu testen?
Samstag, 8. September 2012
Plan für heute: in Laguna Grande das Informationszentrum des Naturparks besuchen und von dort aus eine Wanderung zum Garajonay, La Gomeras höchstem Gipfel. Das Wetter war morgens ein bisschen bewölkt, aber der Wind kam von Norden, und ich hoffte, er würde die Wolken, bis ich dort angekommen wäre, vertreiben.
Nächster Haken: ab der Straßenkreuzung von Pajarito war wegen der Waldbrände in den Wochen zuvor die Straße gesperrt, kein Durchkommen nach La Laguna. Auch der Direktaufstieg von Pajarito aus auf den Garajonay war verboten.
Also fuhr ich der ausgeschilderten Umleitung nach, um vielleicht aus der anderen Richtung nach La Laguna zu kommen, und kam dabei unter anderem duch Chipude und El Cercado, zwei wunderschönen Dörfern, die sehr hoch gelegen sind und in denen ich zum ersten Mal mitten in den Wolken stand. Buchstäblich. Ich konnte es nicht fassen: 30 Grad, Sonne, und plötzlich wabert eine Wolke um mich herum.
In El Cercado sagte mir dann ein Dorfbewohner, dass nicht nur die Straße nach La Laguna gesperrt ist, sondern auch das Informationszentrum, ich hatte also keine Möglichkeit, dort hin zu kommen. Ich kaufte noch je ein Glas des berühmten „Miel de Palma“ (Palmenhonig) und „Miel de Abeja“ (Honig aus dem Lorbeerwald) und fuhr wieder nach Pajarito zurück.
Ich hatte nämlich gesehen, dass es links vom gesperrten Aufstieg zum Gipfel einen weiteren Weg gab, der nicht abgesperrt war – den wollte ich ausprobieren. Vielleicht klappte es mit einem Umweg, zum Gipfel des Garajonay zu kommen. Also, Auto abgestellt und Wanderschuhe an! Andere Wanderer, die ich dort traf, konnten sich nicht vorstellen, dass man irgendwie zum Gipfel kommt, und fuhren weiter.
Nach ein paar hundert Metern schon war ich allerdings auch kurz vor dem Aufgeben. Der Weg führte mitten durch das vom Waldbrand betroffene Gebiet. Alles war verbrannt und verkohlt, Bäume, Sträucher, die Erde rot, kein einziges grünes Blatt, und ich war völlig allein. Ein mulmiges Gefühl, bis ich mir klarmachte, dass ich, selbst wenn wieder Brände aufflackern sollten, dort am sichersten bin. Hier konnte kein Feuer mehr Nahrung finden. Überall lag noch Brandgeruch in der Luft.
Bei näherer Betrachtung allerdings sah ich, dass der Wald sich bereits ins Leben zurückkämpft. Die ersten Pflanzen sprossen schon wieder aus dem Boden, und wie ich später lernte, ist nicht nur der verbrannte Boden außerordentlich fruchtbar, sondern es gibt sogar Pflanzen, die ausdrücklich ihre Samen erst nach einem Waldbrand abwerfen und in der verbrannten Erde keimen lassen. Ein Trick der Evolution!
Während ich trotz allem dem Wanderweg weiter folgte, sah ich irgendwann ein Hinweisschild auf den Garajonay. Ich hatte also richtig geschätzt, dass ich auf einem Weg war, der außen um den Garajonay herumführte und mich schließlich doch zum Gipfel bringen würde.
Ich war stolz wie bei einer 8.000er-Besteigung im Himalaya, als ich – als einziger Mensch weit und breit – schließlich tatsächlich den Gipfel erreichte. Das Feuer war während der Brände von allen Seiten bis an die Aussichtsplattform herangekommen, hatte aber auf deren Steinen keine Nahrung mehr gefunden. Inzwischen hatten sich auch die Wolken verzogen und ich hatte einen weiten Blick auf die Nachbarinseln El Hierro, La Palma und Teneriffa.
Zurück ging es den selben Weg, es gab keinen anderen. Sonne, kein Fitzelchen Schatten, der Brandgeriuch – ich war froh über die kühle Dusche, als ich wieder in Hermigua angekommen war.
Abends starteten vom Berg gegenüber meines Balkons mindestens 20 Paraglider und umschwirrten für zwei, fast drei Stunden die Bucht, teilweise nahe an den Felsen vorbei. Die Sicht von da oben muss unglaublich sein.
Sonntag, 9. September 2012
Weil Sonntag war, plante ich nur einen kurzen, bequemen Wanderweg, der vom Mirador de Hermigua durch ein Stück Lorbeerwald bis zu einer Aussichtsplattform führte. Ich konnte mich an diesen moosbewachsenen Baumstämmen kaum sattsehen, es war wie im Märchen.
Ich weiß gar nicht mehr, wie ich eigentlich auf die Idee kam, jedenfalls beschloss ich, diesmal nicht zu Fuß, sondern mit dem Auto von El Cedro bis Aceviños zu fahren, um dort ein bisschen herumzulaufen – ich suchte ja immer noch Ramóns Hütte. Auf meiner Karte war eine schmale Straße eingezeichnet, die wollte ich ausprobieren.
Straße war allerdings eine stark geschmeichelte Bezeichnung. Ich hatte das, als verwöhnter Mitteleuropäer, völlig falsch eingeschätzt. Die „Straße“ war eine gelungene Mischung aus Steinen, Resten von Felsabbrüchen, Sand, Schotter, Schlaglöchern und das Ganze rauf und runter in Serpentinen. Ich hatte seltsamerweise überhaupt keine Angst, in den nächsten Barranco (Schlucht) zu stürzen, wahrscheinlich war ich viel zu sehr darauf konzentriert, meinen armen kleinen Nissan Micra irgendwie heil da durchzubringen. Wenden war unmöglich. Eigentlich dürfte diese Piste wirklich nur für Geländewagen freigegeben werden, oder zumindest müsste eine Warntafel dort stehen. Das Foto gibt den Zustand der „Straße“ leider kaum wieder…
Nachdem wir verschwitzt (ich) und verschmutzt (Micra) wieder in Hermigua eingetroffen waren, waren wir schon wieder tatendurstig. Ziel für den Nachmittag: Playa de Caleta, der „Hausstrand“ von Hermigua. Allerdings hinter dem Berg und nur über enge Schlängelpiste durch das Dörfchen Las Nuevitas zu erreichen.
Der Strand mit dem schwarzen Sand und den glatten, glänzenden Steinen war fest in der Hand der Einheimischen. Es gibt eine kleine Strandbar und einen Grillplatz mit Tischen und Bänken für gefühlte 100 Leute, und so voll war es dann auch beinahe.
Montag, 10. September 2012
In der Nacht hatte ich einen Überraschungsgast – einen Gecko! Ich war aufgestanden, weil es stark windig war, und mein Fenster klapperte. Ich wollte es nicht schließen, weil es im Apartment immer noch ziemlich warm war und tapste ins Wohnzimmer, um etwas zu suchen, womit ich es festklemmen könnte – da huschte plötzlich etwas über den Küchentresen. Zum Glück konnte ich schnell nach der Kamera greifen, bevor der Gecko hinter einem Bild verschwand.
Plan für heute: San Sebastian, Inselhauptstadt, 7.000 Einwohner. Ich wollte aber nicht nur das Städtchen besichtigen, sondern sicherheitshalber auch nach einem Fahrplan für die Fähren fragen. Denn wenn ich die Rückfahrt verpasste, wäre der Flieger weg, und die Ausdrucke, die ich aus dem Internet gemacht hatte, waren leicht widersprüchlich.
Man sollte San Sebastian wirklich gesehen haben. (Ironiemodus an) Von hier aus ist Kolumbus gestartet mit der Absicht, Amerika zu entdecken. Hier gibt es das Haus, in dem er die letzte Nacht verbracht hat, den Brunnen, an dem er seine Wasservorräte aufgefüllt hat, die Kirche, in der er zuletzt gebetet hat, und so weiter. (Ironiemodus aus) Ob das nun alles so stimmt oder nicht: San Sebastian ist sehenswert, viele Häuser in diesem typischen kolonialistischen Stil, die Bewohner sind freundlich, die Souvenirs sehr hübsch, kein Tinnef, und das Essen preiswert.
Ich muss allerdings zugeben, dass mir nach einer knappen Woche Einsamkeit Menschen, Autos, Benzingeruch und sonstige zivilisatorischen Kennzeichen einfach unangenehm waren. Mich zog es wieder in meine geliebten Wälder und Berge.
Von San Sebastian aus bin ich die GM2 bis Pajarito gefahren und dort nach Süden abgebogen. Ich wollte den ältesten und zugleich einzigen wildwachsenen Drachenbaum der Insel besuchen, den „Drago de Agalan“. Ziemlich schnell befand ich mich wiederum in einem Gebiet, das von Bränden verwüstet war, wenn es auch nicht ganz so schlimm verkokelt war wie oben am Garajonay.
Der steingepflasterte Weg, der in ein Tal zum Drachenbaum hinunterführte, war nicht gesperrt, und als ich während des Wanderns die ganzen verkohlten Palmen und Kakteen sah, fragte ich mich, ob der Drachenbaum wohl überhaupt noch vorhanden und nicht auch ein Opfer der Flammen geworden wäre. Jeder Schritt auf dem ziemlich unebenen Weg ging abwärts und ich dachte mit Schaudern an den Rückweg, der praktisch nur aufwärts führen würde.
Wiederum war ich ganz alleine unterwegs, und außer dem schon vertrauten Rascheln von flüchtenden Eidechsen hörte ich keinen Laut außer meinen eigenen Schritten. Endlich war ich unten. Der Zugang zum Drachenbaum ist durch einen weitläufigen Zaun versperrt, es heißt, man will verhindern, dass Touristen ihren Namen in die Rinde ritzen.
Die Feuer hatten sich durch das ganze Tal gewälzt, ringsum war alles verbrannt, verkohlt – nur der Drachenbaum hatte nichts abbekommen, wenn man von ein paar vergilbten Blattspitzen absieht, die vielleicht die Hitze nicht vertragen haben. Aber die Krone war grün, der Stamm unversehrt.
Ich machte eine kurze Rast und begann dann der Aufstieg, mittags, die Sonne stand hoch, und es war heiß. Nirgendwo Schatten. Irgendwann driftete mein Hirn ab, ich konzentrierte mich nicht mehr auf den Weg, sondern ich spürte zu meinem Erstaunen, wie Augen und Füße sich von selbst koordinierten. Ich musste nur immer auf den Boden vor mir starren, ohne zu denken, und meine Füße fanden auf den unebenen Steinen wie von selbst den richtigen Tritt.
Dienstag, 11. September 2012
An diesem Tag war ich endlich einmal früh genug auf, um den Sonnenaufgang hinter Teneriffa und dem Teide zu erleben. Es dämmerte schon, aber die Sonne selbst war noch nicht zu sehen. Also bewaffnete ich mich mit beiden Kameras, machte mir einen Tee, setzte mich auf den Balkon und wartete.
Es wurde heller und heller. Die Spitze des Teide begann zu glühen, die Strahlen der Sonne krochen langsam den ganzen Berg entlang und ragten hinter der Insel in den Himmel. Die Wolken verfärbten sich rot und dann, innerhalb von Sekundenbruchteilen, blitzte die Sonne hinter dem Berg hervor – gigantisch!
Nachdem ich plante, Hermigua am Mittwoch Richtung Valle Gran Rey zu verlassen, trieb ich mich einfach noch ein bisschen im Ort herum. Im „Casa de la cultura“, hatte ich gelesen, konnte man umsonst ins Internet, und ich staunte nicht schlecht, dass in dem kleinen Raum dort zehn ziemlich neue Rechner herumstanden. Einer von ihnen hatte einen Aufkleber, wo irgendwas von „EU“ draufstand – also offensichtlich aus Fördergeldern finanziert. Und nicht nur Touristen nutzen dieses Angebot, ich war mehrfach dort und immer waren Einheimische da, auch Ältere. Insofern also auf dieser abgelegenen Insel ein sinnvolle Investition für die Bewohner, um sie auf dem laufenden zu halten.
Den Rest des Tages verbrachte ich mit Tanken, Geld abheben, einkaufen, am Pool liegen (ist das langweilig) und damit, das Meer zu beobachten. Es hieß, dass das Meer um die Kanarischen Inseln von Walen und Delfinen nur so wimmelt, aber in all den Stunden, die ich – auch mit dem Fernglas – hinausstarrte, hab ich nicht einen gesehen. Später habe ich erfahren, dass auf der Nordseite von La Gomera auch kaum welche zu finden sind. Aus klimatischen Gründen ist das Nahrungsangebot für die Meeressäuger im Süden sehr viel reichhaltiger, und da hab ich dann auch welche zu sehen bekommen.
Mittwoch, 12. September 2012
Heute stand der Umzug ins Valle Gran Rey im Südwesten von La Gomera an. Ich war schon sehr gespannt, denn die Gegend ist legendär. „Als ob die Zeit stehen geblieben ist“, hatte man mir vorher gesagt, und „Hippiekultur“ las ich im Reiseführer. Für die Fahrt dorthin veranschlagte ich ungefähr eine Stunde. Die GM2 war immer noch gesperrt, und so nahm ich die GM1 über Agulo und Vallehermoso.
Die Anfahrtsbeschreibung zum Apartment in Casa de la Seda, die man mir vorher zugeschickt hatte, stimmte ganz genau: am Ende einer langen Geradeausstrecke ist auf der linken Seite ein grüner Zaun mit dem Schild eines rauchenden Fisches, da befindet sich der Eingang. Den Schlüssel musste ich einem Kästchen neben der Tür mit einer Zahlenkombination entnehmen, die ich vorher per Mail bekommen hatte.
Ich war noch keine fünf Minuten im Apartment, als jemand kräftig gegen mein Fenster trommelte. Ein ziemlich wild aussehender Mensch überreichte mir ein ganzes Bündel frisch abgeschnittener Bananen. Es handelte sich um Gregorio, meinen Vermieter.
Das Apartment war ganz entzückend, liebevoll und ein bisschen exotisch eingerichtet, mit Küche, Bad, Schlafzimmer und einer großen Dachterrasse.
Ziemlich schnell offenbarten sich allerdings ein paar Haken des Quartiers: Obwohl ich mich vorher erkundigt und die Auskunft bekommen hatte, dass diese Gegend von den Bränden verschont geblieben sei, war das Gegenteil der Fall. Von der Dachterrasse aus sah ich auf ausgebrannte Häuser und verkohlte Palmen, und vor allem roch es entsprechend. Brandgeruch ist ekelhaft, vor allem, wenn man so geruchsempfindlich ist wie ich.
Außerdem herrschte ein Höllenlärm. Denn in einem Tal erzeugt jedes Geräusch ein Echo, und nachdem die Bewohner verständlicherweise dabei waren, ihre Behausungen mit Hilfe von Baumaschinen wieder herzurichten, gab es natürlich Krach ohne Ende. Außerdem lagen die Apartments direkt an der Durchgangsstraße. Nach der Ruhe in Hermigua war das alles zusammen schon eine gewaltige Umstellung.
Aber ich wollte mich nicht unterkriegen lassen und mir selber ein, zwei Tage Zeit geben, mich umzustellen. Am Nachmittag besuchte ich ein Stück talabwärts den Ort La Calera, bei dem es praktisch nur oben und unten gibt und bei dem die Straßen aus Treppen bestehen. Wunderschön hergerichtete Häuser, ein Labyrinth aus Treppen, Zugängen, Ausgängen, Dachterrassen, und ein Haus hübscher als das andere.
Anschließend bin ich dann zum Hafenort Vueltas gefahren, um mich nach Whalewatching-Touren zu erkundigen und mir den Sonnenuntergang anzusehen. Es stimmt, dass dort die Zeit beinahe stehengeblieben ist und vor allem, dass die Bevölkerung zu 35% aus Deutschen besteht. Fast alle Ladenschilder und Beschreibungen und auch die gesprochene Sprache auf der Straße ist ein Gemisch aus Deutsch und Spanisch. Und Hippies gab es auch zuhauf. Ich fragte mich in den meisten Fällen aber, ob das Gehabe und die Kleidung nicht mehr eine Attitüde ist als alles andere. Ich fand es einfach nur unecht und aufgesetzt. Auf der Hippie-Welle schwimmen dann auch abgewrackte Figuren mit, die man hierzulande einfach als Penner bezeichnen würde…
Der Sonnenuntergang und die Paella auf der Terrasse eines strandnahen Lokals versöhnten mich dann wieder ein bisschen mit der Welt.
Donnerstag, 13. September 2012
Ich hatte mir extra einen großen Zettel gemacht, was ich für die Whalewatching-Tour einpacken wollte, hatte auch von Sonnenmilch über Kameras bis hin zu Kaugummis gegen Seekrankheit alles dabei – und dann fand die Tour gar nicht statt! Ich war nämlich leider der einzige Interessent. Die anderen Touristen wollten alle nach Los Organos, einer Felsformation, die man nur vom Wasser aus sehen kann, aber das war nicht so meins. Delfine und Wale standen auf meiner Agenda, die wollte ich unbedingt sehen. Davon abgesehen, sind diese Touren nicht ganz billig – um die 40 Euro pro Fahrt, allerdings inklusive Badestopp und Essen.
Ich disponierte also um und machte stattdessen einen Wandertag. Ich hatte eine Route gefunden, die vom Valle Gran Rey aus gut anzusteuern war und wanderte von Las Hayas nach Los Creces, eine wunderschöne, ruhige Strecke ohne allzuviel Kletterei, mitten durch den Lorbeerwald. Endlich wieder in meinem geliebten Wald, ohne deutsche Touristen und ohne Brandgeruch!
Ich glaube, das gab letztendlich den Ausschlag. Wieder zurück im Valle Gran Rey beschloss ich, mir die verbrannte Gegend nicht länger anzutun als unbedingt notwendig und rief im „Jardin La Punta“ in Hermigua an, ob denn für die restlichen fünf Tage meines Urlaubs noch ein Apartment frei wäre. Und tatsächlich, es gab eines! Ich sagte sofort zu und legte meine Sachen zusammen. Bezeichnenderweise hatte ich meinen Koffer überhaupt noch nicht ausgepackt…
Man hatte mir den Tipp gegeben, den Wanderweg durch El Guro zum Wasserfall zu nehmen, der sei sehr hübsch. Ah, endlich ein Wasserfall, nachdem ich schon zu dumm war, den bei El Cedro zu finden. Ich folgte also dem Schild „Wasserfall“, das gleich unten an der Hauptstraße angebracht war und stieg durch El Guro hinauf.
Der Weg führte im unteren Teil mitten zwischen den ausgebrannten Häusern hindurch. Es war teilweise ein schauerlicher Anblick. Die Menschen, die hier lebten, haben buchstäblich alles verloren. Auf dem Wanderweg selbst war eine provisorische Wasserleitung verlegt, denn auch die hatte es bei den Bränden offenbar zerstört.
Später wurde aus dem Wanderweg eine richtige Klettertour. Ich musste die Hände zu Hilfe nehmen und stand schließlich mitten in meterhohem Schilf und kam nicht weiter. Die Schilfhalme hatten stellenweise einen Durchmesser von zehn, fünfzehn Zentimetern. Ich muss ganz in der Nähe des Wasserfalls gewesen sein, denn ich hörte etwas gluckern, aber konnte ihn in dem Dickicht nicht finden. Ich traute mich auch nicht weiter hinein, denn ich war – natürlich – wieder mal alleine unterwegs, und es würde bald dunkel werden, ich hatte keine Lust, mich hier zu verirren.
Freitag, 14. September 2012
Ich bin aus dem Valle Gran Rey mehr oder weniger geflüchtet. Ich fühlte mich einfach unwohl, und ich hatte keinen Bedarf, dieses Gefühl länger als unbedingt notwendig auszudehnen. Ich zahlte anstandshalber für drei statt zwei Nächte, wegen der vorzeitigen Abreise, packte meine Habseligkeiten ins Auto und fuhr nach Vueltas hinunter, um nun endlich an der Whalewatching-Tour teilzunehmen.
Wir waren etwa mit 20 Passagieren, und trotz des Geschaukels des doch recht kleinen Schiffes wurde ich dank meiner Kaugummis nicht seekrank und konnte die Fahrt genießen.
Womit niemand rechnen konnte: hier, auf dem Schiff, habe ich dann tatsächlich Ramón gefunden, und so sieht er aus:
Auf dem Meer gab es aber auch einiges zu sehen. Ramón saß während der Fahrt lange mit seinem Feldstecher auf Ausguck und hatte sie schließlich erspäht: Pilotwale und Delfine!
Es war einfach bezaubernd, diese Geschöpfe zu beobachten. Der Kapitän hatte den Motor abgestellt und wir dümpelten mitten in einer großen Gruppe Pilotwale. Die Delfine waren weiter weg, und dazwischen war sogar irgendwo ein Delfinbaby, aber ich habe es nicht fotografieren können, es war immer nur ganz kurz an der Oberfläche.
Wir ankerten in einer stillen Bucht, wo es Gelegenheit zum Schwimmen gab – und ein superleckeres Mittagessen: gebratene Thunfischfilets mit Koriandersauce, in der Schale gekochten Kartoffeln und Salat.
Am frühen Nachmittag fuhr ich dann gleich vom Hafen aus los, zurück nach Hermigua. Ich hatte diesmal ein anderes Apartment bekommen, aber auch mit Balkon und sogar noch besser ausgestattet als das erste. Ich war so glücklich! Endlich wieder das Meer sehen, endlich wieder frische Luft, ich habe fast geheult vor Freude, dass ich wieder da war.
Den Abend verbrachte ich auf dem Balkon, suchte mir für den nächsten Tag einen Wanderweg heraus, dachte über mein Buch nach und machte mir Notizen zu den letzten Kapiteln. Ich hatte bisher nicht so viel geschrieben, wie ich mir das eigentlich für den Urlaub vorgenommen hatte, aber im Hinterkopf sortierte sich, wie immer, vieles ganz von selbst.
Samstag, 15. September 2012
Erste Amtshandlung: den Sonnenaufgang über Teneriffa ansehen und fotografieren. Ich konnte mich daran einfach nicht satt sehen:
Mein Wanderweg sollte mich heute von Hermigua nach Agulo führen, das sind ungefähr vier oder fünf Kilometer, wenn man den Straßenschildern glauben kann. Der Weg geht allerdings nicht an der Straße entlang, sondern ein Stück an der Küste vorbei und durch ein winziges Dorf, bis man schließlich nach reichlich Gekraxel oberhalb von Agulo an der Landstraße auskommt und die ein Stück an der Steilwand entlang laufen muss. Bloß nicht hinaufschauen… 😉
Auf dem Weg durch Agulo entdeckte ich eine Schautafel, die den Ursprung des Wanderwegs erklärte, den ich durch den Ort und bis hinter dem Friedhof folgen wollte. Fast alle Caminos, so heißen die Wege hier, haben diesen historischen Ursprung, und dieser hier war sogar nicht nur ein einfacher Wanderpfad, sondern ein Prozessionsweg gewesen. Er führte mich bis zum Friedhof von Agulo, aber weiter wollte ich dann nicht, denn ab da ging es nur noch steil bergauf.
Es ist nicht etwa irgendein fehlgeleitetes morbides Interesse, dass ich möglichst versuche, in fremden Städten auch einen Friedhof zu besuchen, sondern es verrät mir meistens sehr viel über die Kultur des jeweiligen Landes. Wie so oft im Süden sind die Grabstätten hier mit Fotos und meist frischen Blumen geschmückt. Jeder Verstorbene ist ein einem „Fach“ bestattet, und ich bin nicht ganz dahintergekommen, ob dort vielleicht nur Urnen untergebracht werden.
Eine grobe Messung verriet mir, dass diese Bauten mit den Fächern im Außenmaß nur ca. 1,60 Meter tief sind. Wie soll da ein Sarg hineinpassen? Und dass man die Toten nicht in der Erde bestatten kann, ist auf La Gomera sowieso klar: auf einer Insel, die fast ausschließlich aus Bergen oder Schluchten besteht, braucht man jedes kleine Stück Land, um etwas anzupflanzen, und tut das in geschickter Art und Weise im Terrassenbau:
Sonntag, 16. September 2012
Für den Sonntagvormittag hatte ich mir einen Besuch in Hermiguas „Museo Etnologico“ vorgenommen, denn die Geschichte der Insel und der Bevölkerung interessierte mich nun doch sehr viel mehr, als ich zuerst gedacht hatte. Laut Reiseführer sollte das Museum um 10.00 Uhr öffnen, und als ich um kurz nach zehn dort war, war es tatsächlich offen! Einer dieser seltenen Fälle, wo mal etwas stimmte, das im Reiseführer angegeben war.
Ich war – natürlich – der einzige Besucher, und die Museumsangestellte schien sich richtig zu freuen, dass sie jemandem zum Plaudern hatte. Sie händigte mir einen Museumsführer auf Deutsch aus (zusammengeheftete Fotokopien) und bat mich, ihn ihr hinterher wiederzugeben. Das habe ich auch gemacht, hatte aber vorher die interessanten Seiten einfach fotografiert.
Eigentlich ist es gar nicht so verblüffend, wenn man erst einmal darüber nachdenkt, aber ich war im ersten Moment erstaunt, wieviel Ähnlichkeit Werkzeuge und Ausstattung mit Gegenständen haben, die ich aus Österreich kenne. Offenbar kommt man, unabhängig von Klima und Lage, unter ähnlichen geologischen Umständen zu vergleichbaren Ergebnissen, sich Hilfsmittel herzustellen. Kurz gesagt: auch auf La Gomera kennt man zum Beispiel „Fleckerlteppiche“, auch wenn sie dort nicht so heißen, und auch die Herstellung ist gleich:
Nach dem Museumsbesuch zog es mich aber wieder hinaus, und ich hatte mir einen kurzen, aber steilen Wanderweg ganz in der Nähe von Hermigua ausgesucht, der auf einen Pass, den sogenannten „Köhlerpass“ (Degollada de la Cambre) führen sollte. Auch dieser Wanderweg war wieder einer dieser alten „Caminos“ und ich war schon sehr gespannt, ob mir die Kraxelei auf den Pass gut gelingen würde. Immerhin war ich inzwischen gut im „Training“.
Der Weg ging steil bergauf, immer bergauf. Weiter oben durchkletterte ich wieder Lorbeerwald, dichtes Grün mit mannshohen Farnen und überall Moos an den Bäumen.
Ich wusste, dass auf La Gomera Nordwind vorherrscht, und dass die Wolken sich auf der Nordseite der Insel abregnen, während der Süden sonniger und trocken ist. Aber so krass wie hier, als ich die Passhöhe endlich erreicht hatte, hatte ich das zuvor noch nicht gesehen. Kaum war ich auf der Passhöhe und trat aus dem tiefgrünen Lorbeerwald heraus, sah ich zu meinen Füßen so etwas wie die Wüste Atacama, Geröll, Sand, Stein und Kakteen. Drei Schritte zurück – wieder Lorbeerwald. Das war absolut faszinierend. Auf diesem Foto kann man es gut sehen: rechts ist Norden (von rechts unten bin ich aus dem Wald gekommen), und links ist Süden.
Ich hatte mir angewöhnt, mich in „Jardin La Punta“ in den Swimmingpool zu werfen, wenn ich von einer Wanderung zurückkam. Ich hatte festgestellt, dass sich auf diese Weise meist Muskelkater vom Wandern verhindern ließ. Und so auch an diesem Sonntag. Den Rest des Abends verbrachte ich mit Lesen.
Monat, 17. September 2012
Ich bin noch einmal nach El Cedro gefahren, um dort zu wandern und endlich diesen Wasserfall zu finden, der angeblich ganzjährig Wasser führt und auf jeder Karte eingezeichnet ist. Ich bin stundenlang gewandert, habe viele neue Wege gefunden und ausprobiert, aber um den Wasserfall zu finden, bin ich offenbar zu blöd. Dabei muss ich wirklich in unmittelbarer Nähe gewesen sein, ich hätte ihn eigentlich gluckern oder rauschen hören müssen. Ich tröstete mich schließlich damit, dass er aufgrund der langen Trockenheit vielleicht doch nur ein Rinnsal ist. Hinweisschilder gab es jedenfalls auch keine.
Am Nachmittag war ich in der Apartmentanlage auf Fotosafari. Ich hatte nämlich inzwischen festgestellt, dass die vielen Eidechsen zwar immer flüchten, wenn man näherkommt, aber ziemlich schnell ganz neugierig wieder aus ihren Schlupfwinkeln kommen, wenn man sich nicht rührt.
Dienstag, 18. September 2012
Letzter Tag in Hermigua. Ich hatte keine Wanderpläne mehr gemacht, sondern vertrödelte den Tag im Ort, im Internetraum des Kulturzentrums, am Pool und mit Spaziergängen und einer letzten Fotosafari. Ich hatte nicht das Gefühl, am letzten Tag unbedingt noch das Eine oder Andere sehen zu müssen, denn ich hatte La Gomera für meine Begriffe gut kennengelernt, vieles gesehen und erlebt, ausreichend Ruhe gehabt und freute mich wieder auf zu Hause.
Mittwoch, 19. September 2012
Der Tag der Abreise. Ich hatte keine Ruhe und fuhr schon so gegen neun Uhr los, die Fähre nach Teneriffa/Los Christianos sollte um 11.30 Uhr ablegen. Zeit genug also, nach San Sebastian zu fahren, bei einer Fahrtzeit von einer halben Stunde, und noch in aller Ruhe nach Mitbringseln zu suchen. Auf der Calle Real fand ich endlich ein T-Shirt für den Sohn, und gleich am Hafen entdeckte ich ein wunderhübsches Geschäft und kaufte eine stattliche Anzahl handgenähter Geckos.
Ich stellte das Auto am Hafen ab, so wie man es mir gesagt hatte, mit unverschlossener Tür und dem Schlüssel unter der Fußmatte. Ich kann nur hoffen, dass das alles auch so richtig war. Ist ein seltsames Gefühl, ein Auto unverschlossen stehenzulassen.
Das Einchecken auf dem Schiff lief genauso vonstatten, wie ich es schon kannte. Ich gab meinen Koffer am „Gepäckwagen“ ab, hoffte im Stillen, ihn auch wirklich in Teneriffa wiederzusehen und enterte die Fähre, als der Zugang gegen 11 Uhr freigegeben wurde. Ich suchte mir einen Platz oben an Deck und als wir ablegten, wurde La Gomera ganz schnell kleiner…
Ich fuhr wieder mit dem Taxi zum Flughafen und hatte noch zwei Stunden Zeit bis zu meiner Verabredung. Ich hatte mich nämlich vor der Reise bereit erklärt, als Flugpate auf meinem Ticket zwei Hunde vom Tierschutz La Palma nach Deutschland mitzunehmen. Ich war sehr gespannt, wie das ablaufen würde.
Um 15 Uhr kam Tierschützerin Marisa superpünktlich mit meinen Schützlingen an – es waren drei! In einer Box die Mischlings-Welpen Laila und Laika, und in der anderen ein wunderschöner Podenco namens Boby. Marisa übernahm alle Formalitäten und kümmerte sich wirklich um die Hunde bis zum Schluss, als ich zum Sicherheitscheck musste.
Aus rechtlichen Gründen waren die Pässe der Hunde auf meinen Namen ausgestellt und somit – vorübergehend – meine.
Alles klappte völlig reibungslos. Meine einzige Aufgabe war dann nur noch, die Hunde am Düsseldorfer Flughafen am Sondergepäckschalter in Empfang zu nehmen und den neuen Besitzern auszuhändigen, die bereits ungeduldig warteten.
Und damit war meine zweiwöchige Reise beendet. Kaum zu glauben, wie schnell die zwei Wochen herum waren, und die Umstellung von hochsommerlichen 33 Grad auf gefühlte 10 Grad in Düsseldorf war gewaltig. Ich möchte keine Minute auf La Gomera missen, ich habe viel gesehen, viel erlebt, bin in eine völlig neue Welt eingetaucht und fühlte mich wohl, obwohl es beinahe eine Art Kulturschock für mich war.
Ich war auf den Wanderungen und auch sonst fast immer allein unterwegs. Ich habe das nicht als Nachteil empfunden, im Gegenteil. Alle Entscheidungen nur für sich selbst und in jeder Minute frei treffen zu können – wann hat man das schon? Wenn ich alleine im Wald unterwegs war, habe ich immer darauf geachtet, dass ich das Handy dabei hatte, genug zu trinken und zu essen, und möglichst eine auffällige T-Shirt-Farbe wie orange oder rot. Vorsichtsmaßnahmen, für den Fall, dass ich mir einen Haxen breche und irgendwo hilflos herumliege. Der Handyempfang ist auf dem größten Teil der Insel sehr gut. Ich habe immer achtgegeben, wo ich gehe, und war insgesamt sehr vorsichtig. Insofern fand ich dieses allein-irgendwo-in-der-Pampa-herumwandern nicht weiter riskant.
Vielleicht werde ich wieder hinreisen. Ich habe La Gomera ins Herz geschlossen, obwohl die Insel es mir nicht leicht gemacht hat. Es ist einfach, etwas zu lieben, dass sich freundlich und offen zeigt. La Gomera war verschlossen, die schroffen Felsen und die karge Landschaft beinahe abweisend. Ich musste mir die Insel Stück für Stück erobern, und ich möchte diese Erfahrungen um nichts in der Welt missen. Wenn ich die Augen schließe und zurückdenke, rieche ich wieder den typischen Duft aus Meeresluft und Kräutern, und fühle den Wolkennebel oben in den Bergen auf der Haut. Das gibt es – vielleicht – auch anderswo, aber selbst wenn mir diese Phänomene noch einmal irgendwo begegnen, werden sie mich immer an La Gomera erinnern.