Wenn man in Berlin mal allein sein will, also, wirklich allein – dann sollte man an einem kalten Wintertag den Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg besuchen. Wer nicht gezielt hierhin will, wird den Friedhof abseits der Touristenwege nämlich kaum ansteuern.
Vorweg: das mit dem „Alleinsein“ ist relativ. Kaum einer mag an einem kalten Februartag, wenn einem der eisige Wind um die Ohren pfeift, überhaupt nach draußen, geschweige denn auf einen Friedhof gehen. Ich war der einzige Besucher an diesem Vormittag. Und ich meine das mit dem Alleinsein nicht negativ. Man kann Ruhe und Abgeschiedenheit auch genießen, ich bin ja so ein Mensch (siehe Seite „Sepulkralfotografie„). Ich bin gerne mit der Kamera auf Friedhöfen unterwegs, und hier erhoffte ich mir neben einem Einblick in die jüdische Kultur auch neue, womöglich ungewöhnliche Motive.
Die gibt es in der Tat zuhauf, vor allem leider deswegen, weil der Friedhof, wie man sich denken kann, eine wechselvolle Geschichte hatte. Hauptsächlich wurde er zwischen 1827 und 1880 genutzt, und man kann an den Grabstätten die allmähliche Veränderung des traditionellen jüdischen Lebens im 19. Jahrhundert nachvollziehen. Inschriften änderten sich, auch die Art der Grabsteine, was Gestaltung und Material betrifft. Während des 2. Weltkriegs wurden Verzierungen und Grabgitter aus Metall geraubt und eingeschmolzen, zwischen den Gräbern Schützengräben gezogen. Später fielen Grabstätten immer wieder Vandalismus zum Opfer, die Spuren aus Jahrzehnten sieht man überall, umgeworfene Grabsteine, sogar Monumente mit deutlichen Brandspuren. Manche Grabsteine konnten bei Restaurierungsarbeiten keiner bestimmten Grabstelle mehr zugeordnet werden und wurden im „Lapidarium“ im Eingangsbereich des Friedhofs aufgestellt. Hier gibt es auch eine kleine, aber sehr informative Dokumentation über jüdische Friedhofskultur und jüdische Trauerrituale.
Insbesondere diese kleine Ausstellung hat mich sehr berührt, wurden mir doch Details des jüdischen Glaubens nahegebracht, die mir bis dahin unbekannt waren, zum Beispiel:
Jüdische Gemeinden haben sich immer bemüht, einen Friedhof als Eigentum zu erwerben, um die Totenruhe für alle Zeit zu garantieren. Der Grund hierfür ist die jüdische Vorstellung von Tod und Auferstehung:
Vor etwa 2000 Jahren entwickelten die Rabbiner die Lehre, dass Gott am sechsten Schöpfungstag die Seelen aller Menschen, die jemals auf Erden leben werden, erschaffen hat. Im Gan Eden, dem Paradies, warten sie darauf, während des Zeugungsaktes in den ihnen vorbestimmten Körper eingeleibt zu werden, geboren zu werden und zu leben. Nach dem Tod des Menschen wird der Körper begraben und die Seele kehrt in das Paradies zurück. Wenn nun alle Seelen genau einmal in ihrem bestimmten Körper gelebt haben und zurückgekehrt sind, dann ist, so die Gelehrten des Talmud, der Tag der Auferstehung gekommen. Jede Seele wird mit dem Körper, mit dem sie das irdische Leben geteilt hat, zusammengeführt werden und die Wonnen des ewigen Lebens genießen.
Einen Besuch kann ich unbedingt und uneingeschränkt empfehlen, und der Friedhof ist in wenigen Schritten vom U-Bahnhof „Senefelder Platz“ gut zu erreichen. Achtung bei den Öffnungszeiten, die sind leider nichts für Wochenendbesucher: freitags ist der Friedhof nur bis 14.30 Uhr geöffnet, samstags und sonntags geschlossen. Einzelheiten im oben verlinkten Wikipedia-Artikel und auf der Webseite von Berlin.de.
Galerie (Fotos vom 6. Februar 2015) :