… und nun ist das zweite schon auf dem Markt. Und es gibt viele Ideen für weitere.
Nach über einem Jahr Pause in der aktiven Schreiberei und nur gelegentlichen Anfällen von oberflächlichen Korrekturen ist das zweite “Baby” nun doch fertig geworden. Quasi so nebenbei. Das ist der Vorteil, wenn man als Verleger und Autor sein eigener Herr ist. Dinge können in Ruhe “reifen”, Texte können, obwohl fertig, liegenbleiben – und der zweite Band ist meiner Meinung nach besser als der erste, was ich vorher kaum zu hoffen gewagt hätte.
Im zweiten Buch geht es wieder um Kitty und Juan – aber keine Angst, es kann auch gelesen werden, wenn man den ersten Teil nicht kennt.
“Darling, es wird wieder später!”
Erscheinungsdatum: 11. September 2014
Genre: Roman
ISBN-13: 978-1500844936
ISBN-10: 1500844934
Herausgeber: Sabine Kern
INHALT:
Frisch verheiratet und von Köln über Berlin nach London – für die Journalistin Kitty Sander verläuft das Leben auf der Überholspur, seit sie den Sänger Juan Torres kennengelernt hat. Nach der schnellen Hochzeit freuen sich beide auf ihr Zusammenleben in London und stürzen sich voller Energie in neue berufliche Aufgaben. Vor Juan und der Gesangsgruppe Con Pasion liegen anstrengende Wochen im Studio, um ein neues Album aufzunehmen, und Kitty beginnt einen Job, in dem ihre gesamten journalistischen Erfahrungen gefragt sind. Ihre Recherchen sind allerdings nicht ganz ungefährlich …
Ein weiteres Buch, in dem es ein letztes Mal um die vierköpfige Gesangsgruppe geht, und das eher fantastisch und komisch werden wird, ist in Vorbereitung und soll Anfang 2015 erscheinen. Bisheriger Arbeitstitel: “Lost In Time”.
Die Planungen für diesen Trip liefen bereits seit Monaten. Zehn Tage Spanien: viel Spaß, viel Kultur, Museen, Theater, seltsames Essen und noch seltsamere Getränke, Fiestas, Prozessionen und Proteste, viele Gespräche über den Spanischen Bürgerkrieg, Stierkampf, außerdem Blasen an den Füßen und: wunderbare Begegnungen.
Die Planung für die zehn Tage: erster Standort Valencia, von dort Abstecher nach Xativa (1/2 Stunde mit dem Auto von Valencia) und Teruel (1 Stunde von Valencia mit dem Auto, Rückweg durch den Nationalpark Serra Calderona. Dann Cuenca, eine Übernachtung, und weiter nach Madrid. Abstecher von Madrid nach Toledo mit dem Zug, Fahrtzeit ungefähr 30 Minuten.
1. Tag. 09. Mai 2013: Anreise Madrid – Valencia
In aller Herrgottsfrühe (7.50 Uhr) ging der Flieger nach Madrid. Es war einfacher und wesentlich preiswerter, Hin- und Rückflug nach/von Madrid zu buchen und von Madrid aus mit dem Zug weiterzufahren. Das Ticket für den Zug hatte ich mir vorher im Internet bestellt und ausgedruckt, dann kostet es nicht einmal die Hälfte. Vorsichtshalber hatte ich zwischen Ankunft in Madrid und Weiterfahrt nach Valencia ein bisschen Zeit eingeplant (bei der Iberia weiß man ja nie). Als erstes habe ich meinen Koffer in der Gepäckaufbewahrung abgeliefert und die Halle vom Bahnhof Atocha bestaunt, in der man sich wie in einem Gewächshaus fühlt. Sogar einen Teich mit Wasserschildkröten gibt es:
Anschließend konnte ich noch einen ausgedehnten Bummel durch den Retiro-Park machen:
Von der Bahnfahrt nach Valencia weiß ich nicht mehr viel, weil ich die meiste Zeit geschlafen habe. Diese neuen Schnellzüge fahren aber mit knapp 300 Stundenkilometern schnurgerade durch die Landschaft. In Valencia: Apartment in der Innenstadt. Und Innenstadt hieß hier wirklich: mittendrin. Aber dazu später. Als erstes stand ein Bummel durch das abendliche Valencia auf dem Programm. Und ja, es wurde (wieder einmal) protestiert, diesmal ging es um Einschnitte ins Bildungssystem:
Valencia ist auf den ersten – und zweiten – Blick – schön.
2. Tag, 10. Mai 2013: Valencia
Ein strahlender Morgen in Valencia! Als erstes an der Stierkampfarena Tickets gekauft, denn für den Samstag war Stierkampf angesetzt. Leichtes Bauchgrimmen. Aber gut, um etwas be- oder verurteilen zu können, muss man es zuerst einmal gesehen haben.
Also, Tickets für den Samstag gekauft und dann ein weiterer Bummel. Diesmal durch den Turia-Park. Und zum ersten Mal habe ich die berühmte „Orchata“ getrunken und Churros gegessen:
Der Park ist der ehemalige Flusslauf des Riu Turia. Nach einer katastrophalen Überschwemmung mit vielen Toten im Jahre 1957 beschloss die Stadt, den Fluss um die Stadt herumzuleiten und verwandelte das Flussbett in einen Park. An dessen Ende, zum Meer hin, entstand anlässlich des Admirals Cup 2007 die „Ciudad de las Artes y las Ciencias“, sehr futuristische Bauwerke im Konrast zum alten Valencia.
Nach dem Turia-Park noch ein Bummel durch Seitenstraßen, unter anderem zur alten Seidenbörse von Valencia (drin war ich aber erst einige Tage später):
Zum Abschluss bin ich dann noch auf den Miguelete, den Glockenturm, geklettert (207 Stufen), um den Blick auf die Stadt zu genießen. Man kann von dort oben bin zum Meer sehen.
Wieder auf der Erde, musste unbedingt noch ein Foto vom Brunnen auf dem Plaza de la Virgin machen… 😉
3. Tag, 11. Mai 2013: Ausflug nach Xativa
Über Xativa, oder Játiva auf katalanisch, hatte ich im Vorfeld viel gelesen. Eine schöne alte Stadt, aus der die Borgias stammen, deren Familie zwei Päpste stellte. Am bekanntesten ist wohl das Kastell, dessen älteste Teile in der Römerzeit gebaut wurden. Von dort oben hat man einen atemberaubenden Blick auf die ganze Umgebung.
Am Abend ging es dann zum Stierkampf! Ich muss sagen, nach wie vor mit sehr gemischten Gefühlen. Grundsätzlich bin ich (und auch jetzt noch) ein Gegner davon, Tiere als Gegenstand von Unterhaltung zu sehen und sie zum Vergnügen zu töten. Und ich war sehr unruhig, ob ich das Schauspiel denn überhaupt ertragen könnte.
Vorweg: als erstes fiel mir auf, dass das Publikum zu 90% aus Männern bestand, und alle deutlich über 60. Möglicherweise wird diese Art Spektakel früher oder später ohnehin einfach aussterben, wenn das Publikum fehlt. Die restlichen 10% waren gemischtes Publikum, größtenteils wohl Touristen, so wie ich. Die Arena war auch nur etwa zur Hälfte gefüllt. Die Kämpfe laufen nach einem bestimmten Ritual ab, und so konnte ich dann auch durchaus ein paar Unterschiede zwischen den verschiedenen Toreros sehen, und der, der im zweiten Kampf den meisten Applaus des ganzen Abends bekam, hatte den Beifall (und die Trophäe des Stierohrs) auch redlich verdient. Und zu langes Tändeln mit dem bereits angeschlagenen Stier ist streng verpönt, und Toreros, die es nicht schaffen, der Sache ein schnelles Ende zu bereiten, werden gnadenlos ausgebuht.
Die Stiere sind übrigens unglaubliche Tiere, die reinsten Kampfmaschinen, alle zwischen 500 und 600 Kilo schwer, aggressiv und auf furchtlosen Angriff gezüchtet. Sie haben meine tiefste Bewunderung. Mutig, stark, unbeirrt und kämpfen beherzt bis zum Schluss. Und, das sollte man nicht vergessen, sie haben tatsächlich eine faire Chance. Hey, ein knapp 600 Kilo schwerer Stier gegen einen Mann, der mit einem roten Tuch wedelt? Einen der sechs Toreros hatte es beinahe erwischt. Der Stier hatte ihn schon hochgeworfen, aber der Mann hat sich noch retten können und kam mit blauen Flecken davon.
Ich zeige hier nur ein Foto von den vielen, die ich gemacht habe. Ganz ehrlich, ich bin froh, dass ich da war. Ich habe mit Freunden darüber diskutiert, die alle „eigentlich“ Gegner des Stierkampfs sind, aber alle übereinstimmend zugeben mussten, dass dieses Spektakel eine Faszination hat, der man sich kaum entziehen kann. Es ist wie ein lebendes Überbleibsel aus der Römerzeit, eine Mischung aus antiker Theateraufführung und ‚Brot und Spiele‘, mit festen Abläufen, Regeln und Rollen. Die Faszination sieht und spürt man in Fernsehberichten oder auf Fotos einfach nicht. Fazit: einmal einen Stierkampf ansehen, um zu wissen, worüber man spricht, ist in Ordnung. Ab dem zweiten Mal unterstützt man die Stierkampftradition bereits mit seinem Eintrittsgeld, und spätestens dann sollte man sich entscheiden, ob man dafür oder dagegen ist. Ich persönlich sitze, um den britischen Autoren Jason Webster („La Muerte„) zu zitieren, nach wie vor „auf dem Zaun“.
Hier ein Beispiel, was passieren kann, wenn man sich mit einem besonders cleveren Stier anlegt. Dieses Video wurde bei einem Stierkampf in Nordspanien aufgenommen:
4. Tag, 12. Mai 2013: Valencia: Fiesta de la Virgin!
Auch davon hatte ich vorher keine Ahnung: in den Tagen unseres Aufenthalts fand die Fiesta de la Virgin statt und Valencia stand Kopf. Eigentlich steht die Stadt immer irgendwie Kopf, insbesondere bei den „Fallas“ im März. Dieses Fest nun läuft so ab, dass um „medio mañana“, also in der Mitte des Morgens (was auf deutsch 10.30 Uhr bedeutete) eine Heiligenstatue aus der Kathedrale hinaus und um den Platz getragen wird. Es soll Glück und Segen bringen, ihren Mantel zu berühren, also versuchen viele, möglichst nahe an sie heranzukommen und am besten noch ihr Baby und Kleinkind hochzuhalten und der Statue praktisch entgegenzuwerfen, damit der Nachwuchs im wahrsten Wortsinne den „Segen abkriegt“. Das war sehr lustig anzusehen, aber irgendwie auch rührend. Meines Wissens ist auch kein Baby oder sonstwer in dem Gewühle zu Schaden gekommen.
Vor dem Betrieb in der Stadt wieder in den Turia-Park geflüchtet, diesmal weiter nördlich, und der Torres de Serranos, eines der alten Stadttore, musste natürlich ebenfalls erklommen werden. Überhaupt wurde in diesem Urlaub ziemlich viel herumgeklettert: Miguelete, das Kastell in Xativa, der Torres de Serrano… Und es ging noch weiter. Aber dazu später.
Die Fiesta in der Stadt kam nicht zur Ruhe. Am Nachmittag rüsteten sich bereits die nächsten:
Abends gab es nämlich stundenlange Umzüge in der ganzen Innenstadt, in diesen, zugegeben, großartigen Kleidern, traditionelle valencianische, wie man mir sagte. Jedes Kleid hatte eine andere Farbe und Muster, jedes der vielen hundert, die wir gesehen haben:
Das Apartment war, wie bereits erwähnt, mitten in der Innenstadt. Irgendwann wurde der Trubel zuviel, denn die Umzüge fanden auch noch genau vor dem Fenster statt. In die Gegenrichtung geflüchtet – um gleich wieder in die nächsten Proteste hineinzulaufen… Was bleibt einem anderes übrig, als den Abend mit einem ordentlichen Schluck Sangria ausklingen zu lassen!
5. Tag, 13. Mai 2013: Ausflug nach Teruel
Auf diesen Ausflug freute ich mich sehr, ist doch Teruel eine der Städte, in denen vom maurischen Baustil, dem sogenannten „Mudéjarstil“, noch viel erhalten ist. Die maurischen Grundelemente haben sich weiterentwickelt und mit Elementen der Gotik und Renaissance vermischt. Beim Hineinfahren in die Stadt war der erste Eindruck enttäuschend, denn die Straßen der äußeren Innenstadt sahen genauso aus wie neuzeitliche Städte eben so aussehen: Wohnblocks, Supermärkte, das übliche. Als ich aber dann am Rande der historischen Bauten endlich einen Parkplatz gefunden hatte, bot sich nach wenigen Schritten ein völlig anderes Bild:
Teruel ist auch die „Stadt der Liebenden“, und jeder in Spanien kennt die Geschichte der unglücklich Verliebten, Isabel und Diego, die erst nach dem Tod zueinander fanden und hier auch bestattet sind (sehr wahrscheinlich jedenfalls sind sie es). Im Museum in der Kirche wurde man fast handgreiflich gezwungen, sich einen Film über Teruel anzusehen, der zugegebenermaßen auch sehr interessant war und sowohl die Stadtgeschichte als auch die Geschichte von Isabel und Diego erzählte (auf Spanisch, mit englischen Untertiteln). Überhaupt gab man sich unglaublich viel Mühe. Dass Menschen aus Deutschland kommen, um ihre Kirche und das Museum zu sehen, muss für die Museumsangestellten schon einigermaßen unerhört gewesen sein. Sie waren fast beleidigt, als ich ablehnte, auch noch auf den Turm der Kirche zu klettern, weil das doch im Eintrittspreis mit drin war. Geklettert bin ich dann noch, aber später. :-). Die Geschichte der Liebenden „Los Amantes de Teruel“ findet sich sogar in der Kunst wieder, und die beiden Sarkophage, durch deren filigrane Seitenwände man die Mumien von Isabel und Diego sehen kann, sind schon ein Kunstwerk für sich. Es gibt auch ein berühmtes Gemälde von Antonio Muñoz Degrain von 1884, dessen Original im Prado in Madrid hängt.
Nach dem Besuch der Kirche und des Museums bin ich dann auf einen der Stadttürme geklettert, ebenfalls in maurischer Bauweise, viereckig. Was den Vorteil hatte, sich nicht auf einer engen Wendeltreppe 200 Stufen nach oben quetschen zu müssen, womöglich noch bei Gegenverkehr. Zwischendurch gab es immer wieder Haltepunkte, an denen Schautafeln die Bauweise und die Geschichte erklärten, und schließlich auch Glocken, die natürlich genau in dem Moment anfingen zu läuten, als ich oben war.
Ungefähr auf halber Höhe im Turm fand ich zwischen zwei Stockwerken einen verirrten Mauersegler, der nicht mehr hinausfand und ganz erschöpft am Boden saß. Geistesgegenwärtig warf ich meinen Hut über ihn, fischte ihn vorsichtig darunter heraus und trug ihn zur nächsten Maueröffnung. Er verschwand dankbar nach draußen ins warme Sonnenlicht. 😉
Für die Rückfahrt ging es nicht über die Autobahn, sondern die Straße durch die Serra Calderona, einen Nationalpark. Und wie schön war es hier, so ruhig, völlig allein auf dem Berg…
6. Tag, 14. Mai 2013: Abfahrt nach Cuenca
Vor der Abfahrt nach Cuenca noch Besichtigung der Markthalle von Valencia und der Seidenbörse Lonja de la Seda. Ich kannte bis dahin nur die Markthalle San Miguel in Madrid, aber die ist im Vergleich winzig und eher ein Gourmettempel als ein richtiger Markt. Das war hier in Valencia ein bisschen anders… 😉
Angeblich sehen gehäutete Kaninchen genauso aus wie gehäutete Katzen, fiel mir wieder ein. Daher stammt auch die Bezeichnung „Dachhase“, die in der Nachkriegszeit üblich war…
Tja, und was man damit macht, entzieht sich nun völlig meinen kulinarischen Kenntnissen:
Die Seidenbörse „Lonja de la Seda“ ist eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt und Weltkulturerbe sowie Sitz der Kulturakademie Valencias, und wurde um 1530 errichtet. Sie besteht aus vier Teilen: dem Turm, dem Saal Consulado del Mar, dem Orangenbaum-Innenhof und dem Säulensaal. Alles zusammen ist über 2.000 m² groß.
Und dann: Cuenca! Cuenca liegt fast genau in der Mitte zwischen Madrid und Valencia in der autonomen Region Castilla-La Mancha, geografisch auf dem Übergang zwischen der Cuenca-Gebirgsregion und der La-Mancha-Ebene. Das historische Zentrum der Stadt sitzt praktisch auf einem Felsplateau zwischen den Schluchten der beiden Flüsse Júcar und Huécar.
Der „Parador“, ein ehemaliges Kloster, war einfach nur atemberaubend, insbesondere der Blick aus dem Fenster des Hotelzimmers auf die berühmte Brücke über dem Fluss Huécar und die hängenden Häuser von Cuenca.
Der ehemalige Kreuzgang:
Wenn man in die alte Stadt hinüber will, muss man diese schwindelerregend hohe Brücke überqueren, die aber sehr stabil gebaut ist. Also keine Bedenken:
Die Kathedrale besteht, hm, zur Hälfte aus Fassade, ist aber ausgesprochen eindrucksvoll und beherrscht den kleinen Platz davor:
Natürlich gab es auch hier wieder einen Turm zum Hochklettern, aber nicht von der Kathedrale, die hat nämlich keinen, sondern von einer anderen Kirche. Oder war es einfach nur irgendein „Torre“? Egal. Der Aufstieg war kurz, aber extrem eng, und der Platz oben nur jeweils einen Fuß breit rundherum. Aber die Sicht natürlich großartig, hier der Parador von oben:
Das Wetter hatte sich geändert, und das kontinentale Klima war in Cuenca schon deutlich zu spüren, es war sehr viel kälter als in Valencia. Die Gegend ist rauher und unberührter. Ich hatte das Glück, einen der hier lebenden Geier fotografieren zu können:
Nach dem ausgiebigen Rundgang ließ ich den Abend in einer Bar ausklingen, die ich am Nachmittag schon für einen Kaffee aufgesucht hatte. Und jetzt konnte man merken, dass Cuenca, zumindest der alte Teil oben auf dem Berg, ein richtiges Dorf ist. Der Gastwirt war ein sehr ruhiger Typ, geradezu schüchtern. Und als ein paar Einheimische hereinkamen, kam eine alte Frau auf mich zu, sah auf mein blondes Haar, legte mir eine Hand auf die Schulter, schüttelte sie ein wenig und nickte mir freundlich zu. Begrüßung ohne Worte, aber ich fühlte mich willkommen.
7. Tag, 15. Mai 2013: Endlich: Madrid!
Man liebt wohl diejenige spanische Stadt am meisten, die man als erstes kennenlernt – bei mir kommt an erster Stelle immer Madrid. Ich erinnere mich genau an den Moment im Juni 2011, als ich an der Calle Gran Via aus der Metro kam und mich umsah und mich sofort zu Hause fühlte. Dieses Gefühl hat sich in Valencia kein einziges Mal eingestellt.
In Madrid war der Himmel bewölkt und ein paar Regentropfen fielen. Ich ließ mich auch von der Kälte und dem zunehmenden Regen nicht von einem ersten Stadtbummel abhalten. Mein „Hostal“ lag direkt am Opernplatz, und von der Lage her war es ideal. Die Metrostation vor der Nase, ebenso alle Sehenswürdigkeiten der Innenstadt in Laufweite. Besser gings nicht. Ich merkte allerdings schnell, dass mein Rock zwar lang, aber viel zu dünn war, ebenso die Schuhe, und kaufte als erstes ein: eine dickere und vor allem wetterfeste Jacke und ein paar kurze Stiefel.
Das hier ist das Hostal Oriente. Die Fotos auf der Webseite sind ein bisschen geschönt. Mein Einzelzimmer im ersten Stock war winzig, einfach, aber sauber, und es lag zum Glück nach hinten raus, denn die Vorderseite schaut genau auf den Opernplatz, und da geht es – Leute, Madrid! – bis in die späte Nacht sehr laut zu:
Es gab so vieles zu entdecken und wiederzusehen, angefangen bei diesem Platz hier. Regelmäßige Leser meines Blogs zum Buch werden ihn kennen, Plaza de la Villa:
Und auch diesen Herrn hier, den verrückten Ziegenbock, kannte ich noch, der ist immer am Plaza Major und führt, wenn man ihm einen kleinen Obolus in seine Dose wirft, einen verrückten Tanz auf:
Die Kinder haben immer einen Mordsspaß mit ihm. In Madrid gibt es vermutlich hunderte solcher Kleinkünstler in den Straßen, Pantomimen, Musiker, Komiker, die einfach zum Stadtbild gehören und größtenteils wirkliche Künstler und/oder höchst originell sind.
Im Laufe des Nachmittags ging ich im Viertel Lavapies verloren, ein Stadtteil von Madrid, der Kreuzberg in Berlin ähnelt, ein bisschen schmuddelig, aber mit einem lebendigen und kreativen Leben. Ich war auf der Suche nach einem ganz bestimmten Haus, und ich habe es gefunden, in der Calle Abades Nummer 24. Mehr dazu später.
Am Abend gab es eine „Madrid Food Tour“ mit James Blick. James ist Neuseeländer und freiberuflicher Autor, lebt seit Jahren in Spanien, kennt Madrid wie seine Westentasche und bietet Tapas-Touren durch die Bars und Restaurants an, die bei den Einheimischen beliebt sind und hervorragende Küche haben. Als erstes stand aber auch im abendlichen Madrid ein bisschen Sightseeing auf dem Programm, und James erzählte insbesondere vom Stadtpatron Madrids, dem heiligen Isidor, auf spanisch: San Isidro. In James‘ schneller Sprechweise hörte sich das wie „Sunny Sidro“ an, und es dauerte eine Weile, bis mir dämmerte, was er meinte. Mit „sonnig“ hat der gute Isidor nun so gar nichts zu tun, ganz im Gegenteil, er wurde insbesondere dann angefleht, wenn es an Regen fehlte, und hat auch immer geholfen. Und da genau in dieser Woche der Stadtpatron ausgiebig gefeiert wurde, war das Wetter eigentlich kein Wunder. 😉
James lotste kannte sich in den kleinen Gassen und Sträßchen im abendlichen, malerischen Madrid aufs beste aus und wusste über jedes Haus, jedes Restaurant, jede Speise eine Geschichte zu erzählen.
Von den meisten der Leckereien, die wir in den nächsten Stunden verzehrten, habe ich leider keine Aufnahmen gemacht. Ich war viel zu sehr mit Essen und Genießen beschäftigt. Diese hier waren lecker, Ochsenschwanz-Sandwiches:
Und in dieser Schale ist siedendes Knoblauch-Öl, in dem direkt über dem Feuer die Krabben gegart wurden. Das Öl tunkt man dann anschließend mit Weißbrot auf:
Diesem Abend verdanke ich übrigens das Nachfolgegetränk für den Sangria in Valencia: hier in Madrid hielt ich mich für die restlichen Abende an „Vermout“, ein mit Gewürzen versetzter Wein, den es in der „Taberna Real„, die meinem Hostal direkt gegenüber lag, wegen seiner Beliebtheit direkt aus dem Zapfhahn gibt. Mit Flaschen halten die sich gar nicht erst auf. Und es wurde spät auf dieser Tapas-Tour. Sehr spät. Und: „What happens in Spain, stays in Spain“.
8. Tag, 16. Mai 2013: Wiedersehen und Neuentdeckungen
Als erstes fuhr ich mit der Metro zu „Las Ventas“, der Stierkampfarena von Madrid, mit 23.000 Plätzen wohl eine der, wenn nicht DIE größte in Spanien. Ich wollte mich einfach nur etwas umsehen, eventuell auch versuchen, noch eine Karte für den Abend zu bekommen. Keine Chance, Las Ventas war restlos ausverkauft. Es wurden aber Besichtigungstouren der Arena angeboten, und so machte ich wenigstens einen Rundgang.
Danach fuhr ich einige Metro-Stationen zurück, stieg am Retiro-Park aus und machte einen Bummel durch das vornehme Salamanca-Viertel, auf der Suche nach einem geeigneten Haus für den Schluss meines zweiten Romans, aber so richtig fündig bin ich nicht geworden. Ich fürchte, ich muss mir ein anderes Viertel suchen. 😉 Überhaupt war Salamanca nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Mag sein, dass da die Schönen und Reichen wohnen – aber dann wohnen sie in einer reichlich langweiligen Gegend. Das quirlige Zentrum oder die Gegend um die Calle Gran Via sind mir viel sympathischer.
Zurück aus Salamanca bummelte ich durch den Retiro-Park. Gestopft voll mit Schulklassen und japanischen Reisegruppen, und so ging ich weiter bis zum Prado und gönnte mir den Luxus, ihm hier lange Zeit einfach nur zuzuhören – er heißt Edgar Moffatt und ich hatte ihn zwei Jahre zuvor schon gesehen und gehört:
Hier eine kleine Kostprobe:
Nach meinem letzten Madrid-Besuch hatte ich mich geärgert, dass ich keine CD von ihm mitgenommen habe – diesmal hab ich eine gekauft!
Ich überlegte kurz, in den Prado zu gehen, aber es war brechend voll, und so schlenderte ich weiter bis zum Caixa-Forum, um mir den vertikalen Garten anzusehen – wunderschön!
Wieder zurück in der Innenstadt, bin ich an der Puerta del Sol in einen weiteren Protestzug hineingeraten, der sich bei näherem Hinsehen aber als ein sehr trauriger entpuppte. Angehörige von Menschen, die während des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) spurlos verschwunden sind und vermutlich in Massengräbern verscharrt wurden, die jetzt überall gefunden werden, fordern Gerechtigkeit und Aufklärung. Unfassbar, dass nach so vielen Jahren immer noch nichts passiert ist. Die Fotos sprechen für sich, denke ich…
Diese Dame sprach dann zu den Demonstranten, ich habe nicht herausgefunden, wer sie ist. Vermutlich irgendeine Politikerin, die Aufklärung versprach – und dieses Versprechen wohl doch nicht halten wird… Deprimierend.
9. Tag, 17. Mai 2013: Regen
Stadtbummel im strömenden Regen! Nun ja – es gibt zum Glück den „El Corte Inglese“, das Kaufhaus, es gibt Cafés, in denen man stundenlang sitzen kann, und natürlich den Prado. Der Prado hat bis 20 Uhr geöffnet, und ich hatte auch noch Glück: statt für teure 14 Euro eine Eintrittskarte kaufen zu müssen, war der Eintritt an diesem Abend frei!
Mich zog es natürlich wieder zu meinen heißgeliebten spanischen Malern. Velazquez eher weniger, der hat ja nur Portraits von irgendwelchen langgesichtigen Habsburgern gemalt (klingt jetzt ziemlich ignorant :P), aber José de Ribera! Fotografieren ist verboten – aber das hat mich ja noch nie besonders gestört…
Und an sie hier hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht! Sie, die im letzten Jahr so viel Staub aufgewirbelt hat, weil sie die Schwester der Mona Lisa im Pariser Louvre ist. Zeitweise waren die beiden Gemälde dort sogar gemeinsam zu sehen. Auch die durfte man natürlich NICHT fotografieren…
Mit einem letzten Bummel durch das abendliche Madrid und einem Absacker-Vermout in der „Taberna Real“ endete ein langer Tag.
10. Tag, 18. Mai 2013: Toledo und Theater
Am Morgen konsultierte ich als erstes den Wetterbericht – dank WiFi im Hostal und iPhone kein Problem. Toledo stand durchaus auf meinem Programm – aber nicht im strömenden Regen, wenn möglich. Der Wetterbericht verhieß trockenes Wetter, und so startete ich zum Bahnhof, kaufte eine Fahrkarte (hin und zurück 20 Euro) und fuhr dann mit einem dieser Schnellzüge ca. 35 Minuten bis Toledo. Das hier ist der Bahnhof:
Ich hatte schon viele Fotos von Toledo gesehen, und so war der Anblick dieser großartigen alten Stadt schon fast vertraut, und dennoch war ich wie erschlagen von all den winzigen Gässchen, in denen man sich gehörig verlaufen konnte. Ich bin ziemlich sicher, dass ich einige der absolut sehenswerten Gebäude verpasst habe, es waren einfach zu viele. Und zu viele Touristen. Menschenmassen gehen mir immer auf den Geist, und so habe ich mich immer wieder mal in Seitengassen abseits der ausgetretenen Pfade verdrückt, und dabei immerhin ein Tempelritter-Museum entdeckt, von dem ich keine Ahnung hatte.
Hier noch ein paar Eindrücke:
Meine Rückfahrt war für den frühen Nachmittag gebucht, denn für den Abend hatte ich einen Theaterbesuch geplant und wollte mich natürlich vorher umziehen und ein bisschen fein machen. Über Twitter und Facebook bin ich mit einem spanischen Schauspieler befreundet, Germán Torres, und ich wusste, dass er im Mai wieder Vorstellungen von „IVAN-OFF“ (frei nach Tschechow) in Madrid spielen würde. Ich hatte mir schon vor Wochen per Mail ein Ticket gesichert, denn es gibt nur 24 Plätze im „Casa de la Portera“, es ist eine Art Zimmertheater. Und Germán wusste natürlich, dass ich kommen wollte.
Und dann stand ich wieder vor dieser geheimnisvollen grünen Tür in der Calle Abades Nummer 24 (siehe oben, 7. Tag), die sich pünktlich um 20.30 Uhr für diejenigen öffnete, die Karten vorbestellt hatten und sie abholen wollten. Die Vorstellung begann um 21.00 Uhr. Hier ein Eindruck von der Dekoration im Flur, während der Vorstellung habe ich natürlich nicht fotografiert:
Dieses „Casa de la Portera“, die Hausmeisterwohnung, ist wirklich eine Wohnung. Die ehemalige Küche ist Kartenvorverkaufsstelle, Büro und Garderobe in einem, und in zwei weiteren Zimmern wird gespielt. Mit minimalem Aufwand an Dekoration natürlich, die Zuschauer sitzen ringsum an den Wänden und sind nur ca. einen halben Meter von den Schauspielern entfernt.
Wie verrückt muss man sein, sich ein Tschechow-Stück auf Spanisch anzusehen? Gar nicht so verrückt. Ich hatte es mir vorher als Reclam-Heft besorgt, aber war nicht dazu gekommen, es zu lesen. So wusste ich nur ganz grob, worum es ging, und vom Spanisch hab ich auch bestenfalls 10 Prozent verstanden. Mehr war aber gar nicht nötig. Die Schauspieler waren so gut, dass ich mit ein paar Worten, die ich verstanden hatte, der Geschichte mühelos folgen konnte, und es war einfach atemberaubend, so dicht an den Darstellern zu sein. Germán machte sich den Spaß, sich in einer Szene dicht vor mir aufzubauen und mir in die Augen zu starren. Er hatte mich mit meinen blonden Haaren unter all den Spaniern natürlich sofort erkannt.
Hinterher habe ich draußen gewartet, kam noch mit dem Hauptdarsteller ins Gespräch, der als erster herauskam und der mir richtig gut gefallen hatte. Zum Glück sprach er sehr gut englisch. Germán leider nicht, und so holperten wir ein bisschen zwischen den Sprachen herum, hatten aber viel Spaß, waren froh, dass wir uns endlich kennenlernten, und ich wurde natürlich mit Küsschen begrüßt und später verabschiedet. What happens in Spain, stays in Spain.
11. und letzter Tag, 19. Mai 2013: Adios, Madrid
Mein Flieger ging erst abends, ich konnte noch den ganzen letzten Tag in Madrid verbringen. Und da es ein Sonntag war, konnte das Vormittagsprogramm natürlich nur wie lauten? Richtig: El Rastro! Madrids beliebter Flohmarkt, der sich über ein ganzes Stadtviertel erstreckt, der jeden Sonntagvormittag stattfindet und auf dem es einfach ALLES zu kaufen gibt. Und der Mann mit den unglaublich schönen Fächern war auch wieder da:
Nach dem Rastro taten mir eigentlich schon die Füße weh, trotzdem steuerte ich den Casa de Campo an, den riesigen Park jenseits des Flusses Manzanares, den ich bisher auch noch nicht gesehen hatte. Um es kurz zu machen: sehr weit bin ich in dem Park nicht gekommen. Erstens ist er unübersehbar riesig, und zweitens hatte ich eine Brutkolonie dieser Mönchssittiche entdeckt, die es auch in Valencia gab, und hatte alle Hände voll zu tun, Fotos von ihnen zu machen, einen hab ich schließlich am Boden mit dem Teleobjektiv erwischt:
Langsam bummelte ich ins Zentrum zurück, nicht ohne einen weiteren Park zu durchstreifen, den Campo del Moro, hinter dem Königspalast:
Wieder am Königspalast angekommen, setzte ich mich auf eine der Bänke davor, denn die Sonne kam heraus, mir war warm, ich wollte meine Jacke ausziehen und ein paar Kekse essen. Dabei bekam ich allerdings ziemlich schnell Gesellschaft:
Diese Taube kam ganz von selbst auf meine Hand geflogen und hat so viele Kekse gefressen, dass ihr todsicher hinterher furchtbar schlecht war… 😉
Letzte Station meiner Spanien-Reise: der Flughafen Madrid-Barajas. Ich kenne ja inzwischen den Spaß, dass man selber am Automaten einchecken muss, bevor man sein Gepäck abgeben darf, und so war ich zeitig genug da, um keinen Stress aufkommen zu lassen. Ich hatte dann noch fast eine Stunde Zeit bis zum Boarding und streifte auf der Suche nach ein paar letzten Fotos von Madrid draußen herum. Die vier mittlerweile berühmten Türme „Cuatro Torres“ kennt bestimmt jeder Madrid-Reisende:
Die Berge im Norden sind wohl eher weniger bekannt:
Fazit
Da war sie wieder, die Wärme, die Freundlichkeit, die Gelassenheit, die mir in Deutschland immer so fehlt. Ein paar Punkte drängen sich einfach auf:
Lieblingsessen: die Tapas in der „Huerta Santa Catalina“, unweit der Kathedrale von Valencia. Die waren einfach gigantisch gut.
Lieblingsgetränk: Vermouth, der mal mit, mal ohne „h“ am Ende geschrieben wurde, aber immer gleich lecker war.
Minus: das Wetter im zweiten Teil der Reise, in Madrid. Ich lasse mich auch von Kälte und Regen nicht abhalten, herumzustreifen, aber… nun ja… es war Spanien, ein bisschen Sonne und Wärme, so wie an den ersten Tagen in Valencia, wäre halt einfach ein Sahnehäubchen gewesen. Trotzdem: te amo, Madrid!
Totale Entspannung: am Prado sitzen und Edgar Moffatt zuhören.
Traurige Erlebnisse: die Demonstration der Angehörigen von Opfern des Spanischen Bürgerkriegs. Und die Obdachlosen: nach Einbruch der Dunkelheit bauen sie sich aus Kartons in den Wandelgängen rund um die Plaza Mayor Schlafstätten für die Nacht, während nur ein paar Meter weiter die Touristen in den teuren Restaurants an fein gedeckten Tischen sitzen und mit Silberbesteck völlig überteuertes schlechtes Essen verzehren.
Aufregendstes Erlebnis: ohne Zweifel der Stierkampf.
Schönstes Erlebnis: Casa de la Portera.
Hier nicht erwähnt, aber auf Nachfrage gerne mündlich: Keramik in Valencia, Café Valiente, Englisch sprechende Spanier, Stierkampf – hinter den Kulissen, Cricket-Spiel im Turia-Park, Souvenirläden, winzige Kirchen, Iberia, Bücher über den Spanischen Bürgerkrieg und Franco.
Die langjährige Geschichte zwischen mir und Spanien ist schnell erzählt. Ich war nämlich nie da. Nicht bis zum 23.06.2011. Auch nicht auf Mallorca oder in Lloret de Mar oder in Barcelona, als vermutlich einzige Einwohnerin Deutschlands. Die spanische Geschichte und Kultur waren mir fremd – höchste Zeit, das zu ändern.
Tatsache ist, ich bin genau 52, als ich zum ersten Mal ein Flugzeug der Iberia besteige, um auf die iberische Halbinsel zu fliegen. Anlass ist ein iberischer Sänger, genauer: ein Bariton, noch genauer: Carlos Marín von der Gruppe „Il Divo“, der vom 23.06. bis 26.06.2011 einige Solo-Konzerte in seiner Heimatstadt Madrid gibt.
Meine Eindrücke von Madrid und den Konzerten habe ich per iPhone und Internetcafé jeweils brühwarm der Heimat mitgeteilt, immer zeitnah und unter dem unmittelbaren Eindruck der jeweiligen Erlebnisse.
Mit nachträglichen Kommentaren und Fotos und behutsamer Korrektur der entgleisten Rechtschreibung ist daraus eine Art Madrid-Tagebuch entstanden.
Beginn der Reise: Donnerstag, 23.06.2011
Es ging alles Hals über Kopf am ersten Abend. Geplante Ankunft am Flughafen Madrid-Barajas: 14.40 Uhr. Um 18.00 Uhr mit meinen holländischen Freunden Anny und Gerd auf der Calle Gran Via verabredet zum Essen, 21.00 Uhr das Konzert. Ich hatte mir ausgerechnet, dass ich zwischen 15.30 Uhr und 16.00 Uhr im Hotel ankommen müsste, wenn… Ja, wenn das Flugzeug pünktlich gelandet wäre. Wenn ich das Gepäck schnell bekommen hätte… Um 17.30 Uhr war ich dann endlich auf meinem Zimmer. Schnell Anny eine SMS schicken, dass ich es nicht bis 18.00 Uhr schaffe, auspacken, umziehen, Eintrittskarte einstecken und los.
Mein Zimmer im Hostal Gran Via 63 (schräg gegenüber vom Teatro Compac Gran Via) ist winzig, gerade dass mal das Bett und ein Nachttisch darin Platz haben. Auch das Bad ist eng, aber für einen alleine ist es groß genug, alles ist sauber und ordentlich, und ich werde ohnehin nur zum Schlafen hier sein. Von Campingplatz bis Steigenberger habe ich schon alles mögliche erlebt und beschließe nach einem Rundblick: reicht voll und ganz. Stutzig macht mich nur der riesige Ventilator in der Ecke, aber den werde ich im Laufe der nächsten Tage noch zu schätzen lernen.
Das Essen war prima, wenn ich auch im ersten Moment etwas verwirrt war von der Speisenfolge. „Primeros Platos“, „Segundos Platos“, „Pan“, „Bebida“, „Postre“ o „Café“ – und das alles für 8 Euro?
Anny und Gerd klären mich auf: man sucht sich von den oberen und unteren Gerichten jeweils eins aus. Dazu Entweder Brot, Getränk, Nachtisch oder Kaffee. Alles weitere wird dann extra berechnet.
Ungefähr eine Stunde vor dem ersten Konzert treffen wir am „Teatro Compac Gran Via“ ein. Es gibt noch ein wenig Verwirrung um die Tickets und vor allem hapert es bei der Verständigung mit der Dame an der Kasse, aber am Schluss kommen alle hinein, die hinein wollen. Viele Il Divo-Fans sind da, viele spanische Freunde, Carmen, Irene, Heather – die meisten Namen habe ich, so fürchte ich, schon wieder vergessen…
Tina ist auch da und spielt Manager und Übersetzer in einer Person, macht alle miteinander bekannt, stellt uns Carlos‘ Familie vor und sorgt dafür, dass alle ins Gespräch kommen.
Nachricht nach Hause am nächsten Morgen:
„Es war ein fantastischer Abend! Dass Carlos ein grossartiger Saenger ist, wusste ich ja schon vorher, aber hier, bei seinem „Heimspiel“, kann er sich von Il Divo loesen umd sich ganz anders geben. Als Persoenlichkeit ist er sehr viel komplexer als nur als „Latin Lover“. Er war wohl gestern abend sehr nervoes, und da gab tatsaechlich auch mal ein paar kleine Fehlerchen, die aber kaum jemand bemerkt hat. Im uebrigen ist hier alles total entspannt und unaufgeregt, Carlos‘ Familie ist supernett. Dies als ganz kurzer Zwischenbericht, ist am iPhone ziemlich muehsam. Ich versuche spaeter ein Internetcafe zu finden.“
Es war wirklich eine fantastische Show, die er da im Alleingang auf die Beine gestellt hat. Fast zwei Stunden Soloprogramm auf der Bühne, stimmlich fast ständig am Anschlag mit lauter anspruchsvollen Nummern, nur unterbrochen von drei Songs, die Geraldine alias Innocence gesungen hat – großartig. Monatelang haben sie daran gearbeitet, hat er später erzählt, und dass es ein langgehegter Wunsch und Traum war, einen solchen Abend auf die Bühne zu bringen.
Und Orchester und Band und Tänzerinnen und Tänzer, Bühnendeko, Videoshow… Die Auswahl der Songs haargenau nach meinem Geschmack, aber einiges wusste ich ja vorher schon. Einen Bogen von Las Vegas über Musical-Highlights bis hin zur Zugabe „Granada“ – ich behaupte, dass im Laufe des Abend alle, wirklich alle im Saal nur so dahingeschmolzen sind. Und nicht wegen der Temperaturen draußen… 😉
Ach ja, ein Gang ins Publikum war auch dabei… 😉
Freitag, 24.06.2011
Für den zweiten Tag in Madrid (den ersten „richtigen“), hatte ich mir einen gemütlichen Stadtrundgang vorgenommen und bin am Morgen einfach losmarschiert, nur ganz grob am Stadtplan orientiert. Und eigentlich stolpert man dann schon fast über die wichtigsten Sehenswürdigkeiten:
Stationen: Calle Gran Via, Fuente de Cibeles, Paseo del Prado, Fuenet de Neptuno, Meseo Nacional Prado, Iglesia de los Jerónimos, Parque de el Retiro, Calle Claudio Moyano, Calle Atocha, Plaza Mayor, Calle Mayor, Catedral de la Almudena, Palacio Real, Teatro Real, Plaza de España, Calle Gran Via.
Auf dem Stadtplan kann man sehen, dass ich einen großen Kreis gewandert bin, links oben, wo das Kreuzchen ist (Hostel Gran Via 63) ging es los. Und nach dem Stadtrundgang war wieder eine Meldung nach Hause fällig:
„Freitag, 24. Juni 2011, 15:52
Nachdem ich jetzt stundenlang bei 33 Grad durch Madrid getigert bin, brauche ich dringend eine Siesta und Dusche – weiss nur nicht, in welcher Reihenfolge. Madrid ist eine tolle Stadt, ich bin so froh, dass ich hierher geflogen bin! Ehrlich mal, Klamotten an, bei der Hitze, und dann noch Haare foenen geht GAR nicht!“
Samstag, 25. Juni 2011
Ich war zunächst unschlüssig, was ich am Samstag unternehmen sollte. Ein Programmpunkt, den ich in Madrid auf jeden Fall abhaken wollte, war der Prado. Nur, wann? Herrlichster Sonnenschein, und ich soll ins Museum? Schließlich habe ich mir überlegt, dass ich mich wahrscheinlich jahrelang ärgern würde, zwar in Madrid, aber NICHT im Prado gewesen zu sein, also bin ich losgezogen. Wo der Prado ist, wusste ich ja vom Stadtrundgang am Tag vorher, diesmal habe ich aber ein Stückchen Laufweg mit der U-Bahn abgekürzt.
Man hatte mich gewarnt, vor dem Eingang müsste man stundenlang anstehen, das kann ich nicht bestätigen. Vielleicht war ich aber auch früh genug unterwegs, ich habe allenfalls ein paar Minuten am Kartenverkauf warten müssen. Der Eingang zum Prado ist dann die Ecke herum, und hier bewährte sich mein in Jahren antrainiertes Museumsbesuch-Verhaltensmuster:
Erstens: Tasche abgeben. Bestenfalls Handy (stumm geschaltet) und Geldbörse in die Hosentasche stecken. Unbeschwert Bilder gucken.
Zweitens: einen Museumsplan besorgen.
Drittens: Mit Plan erst mal hinsetzen. Um Plan zu studieren. Ich weiß aus Erfahrung, dass es überhaupt keinen Sinn macht, in Museen der Größenordnung Prado, National Gallery oder Louvre einfach drauflos zu marschieren. Also erst mal auf dem Plan nachsehen, wo was ausgestellt ist und sich die wichtigsten Kunstwerke oder Künstler aussuchen, die man auf jeden Fall sehen will. Alles andere dann nur noch, wenn noch Zeit ist.
Mit Blick auf den Plan und leisem Bedauern, dass ich wieder einmal nicht alles würde sehen können, beschloss ich, mich auf die spanischen Maler zu konzentrieren, über die ich viel zu wenig weiß. Die wichtigsten – Velázquez mit seinen Herrscherportraits, Goya, El Greco – kennt man, aber was gibt es noch zu entdecken?
Um es kurz zu machen: die spanische Malerei hat mich auf Anhieb begeistert! Die Motive (vor allem biblische Themen, wie in anderen europäischen Ländern zu gleicher Zeit auch) sind natürlich immer recht ähnlich, aber die Art zu malen über die Jahrhunderte eine andere als bei uns und bestimmt durch die Umgebung. Eine sehr naturgetreue Darstellung, anders als diese verklärten und geschönten flämischen Maler, starke Farb- und Hell/Dunkel-Kontraste, mit einem überaus scharfen Blick für die menschliche Natur und den Mut, sie schonungslos darzustellen.
Aus dem 17. Jahrhundet hat mich vor allem Francisco de Zurbarán sehr angesprochen. Das ist so ein ganz typisches Beispiel für diese düsteren, kontrastreichen Bilder:
Den Namen Francisco Pradilla Ortiz hatte ich vorher auch noch nie gehört, war aber ungeheuer beeindruckt von der Schärfe und Tiefe besonders dieses Bildes „Johanna die Wahnsinnige begleitet den Sarg ihres Mannes“:
Leider, leider ist es hier viel zu klein. Im Original von einer ungeheuren Wucht, und nachdem es 340 x 500 cm groß ist, kommt man sich vor, als würde man mitten in dieser trostlosen Winterlandschaft irgendwo in Spanien stehen. Es mag mir keiner glauben, aber mir wirklich kalt geworden, als ich vor dem Bild stand.
Hier haben wir Johanna die Wahnsinnige übrigens noch einmal auf einem Gemälde von Lorenzo Vallés (ich hab sie im Museum mehrere Male gesehen, auf Bildern verschiedenster Epochen, sie muss zu ihrer Zeit eine sehr eindrucksvolle Persönlichkeit gewesen sein). Hier hat sie ihren heißgeliebten verstorbenen Mann wieder ausbuddeln lassen und glaubt, dass das Leben in ihn zurückkehren wird:
Nicht alle Bilder in der spanischen Malerei sind so düster und trostlos, viele strahlen eine ungeheure Lebensfreude aus, sind witzig bis zum Sarkasmus, aber immer schonungslos. Und das scheint mir auch ein wenig die spanische Mentalität widerzuspiegeln, von Kontrasten bestimmt: schwarz-weiß, hell-dunkel, bunt-farblos, Kontraste ohne Schattierungen dazwischen, und die Lebensfreude wird durch das Bewusstsein bestimmt, dass es auch die andere, die düstere Seite im Menschen gibt. Nur, hier wird sie nicht verdrängt, sondern als Teil des Lebens akzeptiert. Vielleicht ist man hier gerade deswegen viel entspannter als bei uns.
Und als wäre der Prado noch nicht Kulturschock genug gewesen, bin ich noch ins Museo Reina Sophia weitergewandert, und zwar aus einem einzigen Grund:
Dieses Schreckensbild des spanischen Bürgerkrieges (dessen Entstehung außerdem ausführlich mit Fotos dokumentiert ist) sollte, nein, MUSS man gesehen haben. Und wenn man dann noch in den Medien im Museum und auch in Filmausschnitten sieht, wie man sich nach Jahren des gewollten und kollektiven Vergessens jetzt auch in Spanien mit dem Bürgerkrieg und seinen Folgen auseinandersetzt, bekommt man plötzlich zu Spanien und zur europäischen Geschichte wieder einen ganz anderen Bezug. Und wenn man dann noch überlegt, dass vielleicht auch Carlos‘ Eltern vor der Franco-Diktatur, die bis zu Francos Tod 1975 andauerte, nach Deutschland geflüchtet sind, so schließt sich der Kreis auf ganz seltsame Art wieder.
Auch im Stadtbild dieser scharfe Kontrast der Farben und Helligkeit und Schatten:
Am späten Nachmittag wieder im Hotel habe ich gleich wieder eine Nachricht nach Hause geschickt: „Samstag, 25. Juni 2011, 17:27 Ich bin platt. Heiss ist es hier… Habe heut Museen abgeklappert und jetzt einen ausgewachsenen Kulturschock. Einfach grossartig, was hier geboten wird. Hab mich im Prado auf die spanischen Maler konzentriert und so manche Entdeckung gemacht. Bei uns kennt man ja mal gerade die beruehmtesten… Und jedes zweite Bild war das Portrait von irgendeinem Carlos, der I., der II., der III. usw. Da guck ich mir lieber den richtigen an… DEN Carlos!Entschuldigt uebrigens, dass ich hier lauter Monologe von mir gebe, aber das Surfen und Seiten schauen ist mit dem iPhone ziemlich muehselig, daher beschraenke ich mich auf kurze Berichte.“
Und für den Abend war noch Konzert mit Carlos Marín geplant – mit einem anschließenden Umtrunk, und einem enthusiastischen nächtlichen Bericht nach Hause:
„Sonntag, 26. Juni 2011, 01:23 Nochmal eben einen naechtlichen Zwischenbericht. Perfekter haette es kaum laufen koennen, bin TOTAL happy. Hab wieder viele tolle Fotos gemacht, viele großartige Menschen kennengelernt, werde ganz stolz von Carlos‘ Mama herumgereicht, weil ich extra wegen ihrem Sohn aus Deutschland angereist bin, es gab hugs und kisses, viele Fotos, und und und… Hach! Gute Nacht!!“
Sonntag, 26.06.2011
Für den Sonntag hatte ich mir vorgenommen, den berühmten Flohmarkt „El Rastro“ zu besuchen, der jeden Sonntag rund um den Plaza de Cascorro stattfindet. Hier bekommt man alles, was man sich nur vorstellen kann. Es gehört in Madrid zum Sonntagsritual, den Rastro zu besuchen, denn schon am Vormittag waren die Straßen rund um den Plaza de Cascorro dicht gefüllt. In den Altstadtgassen gibt es auch viele kleine Geschäfte, Antiquitätenläden, Haushaltswaren, Kleidung, Möbel, Second-Hand-Läden, und alle haben geöffnet. Auf dem Flohmarkt selber wird vor allem Kleidung angeboten, aber auch Schmuck, Sportbekleidung, Lederwaren und Tischwäsche, und man kann echte Schnäppchen machen. Zwei Hosen hab ich mir gekauft, zusammen für 16 Euro – da kann man nicht meckern.
Die Straßen sind auch hier, wie fast überall in der Innenstadt, etwas hügelig, und wenn man den Fehler macht, in der Mittagshitze erst einmal bergab zu gehen – muss man sehen, wie man hinterher wieder heraufkommt. Ich habe mir aber viel Zeit genommen, immer wieder Mineralwasser nachgeschüttet und mich manchmal einfach nur eine Weile hingesetzt, um das bunte Treiben zu beobachten.
Vom Rastro aus bummelte ich noch ein wenig weiter, wieder in Richtung Kathedrale und Königspalast, es war inzwischen Nachmittag.
Touristen fotografieren sich immer gegenseitig, hab ich festgestellt, und hatte mich diesem Brauch nicht angeschlossen. Das hier ist die einzige Ausnahme. Meine Foto-Partnerin mit gegenseitigem Ablichten kam in diesem Falle aus Japan.
Gleich hinter dem Königspalast liegen die Sabatini-Gärten, eine sehr gepflegte und sehenswerte Grünanlage, die hab ich mir auf dem Weg zum Hotel dann auch noch angesehen:
Den Rest des Abends habe ich in bewährter Weise als Botschaft nach Hause festgehalten:
„Sonntag, 26. Juni 2011, 22:41 Mein iPhone hat den Hitzschlag und ich sitze im Internetcafe an der Calle Gran Via. Habe mich eben noch von Carlos verabschiedet, denn morgen geht es ja für mich wieder nach Hause… Bussi an alle, vielleicht kriege ich mein iPhone noch ans Laufen, ansonsten melde ich mich morgen wieder! Buenas noches y besos para todas!“
Als ich aus dem Internetcafé kam, bummelte ich langsam die Calle Gran Via wieder Richtung Hotel cbd products und warf zufällig einen Blick auf die andere Straßenseite. Dort standen nicht nur einige Leitern vor dem Teatro Compac Gran Via, sondern ein ganzer Kran und daneben ein Pritschenwagen. Ich sah auf die Uhr, es war knapp nach Mitternacht. Ein Mann auf einer Leiter riss gerade das Plakat vom Carlos-Konzert auf der rechten Seite des Eingangs ab. „Oh nein!“ sagte ich unwillkürlich, als er es einfach auf den Boden warf.
Ich stürzte zur nächsten Ampel ein Stückchen hinter dem Teatro (nebenbei bemerkt, sind Fußgängerampeln wirklich die sicherste Art und Weise, die Straßen von Madrid zu überqueren) und rannte auf der anderen Seite wieder zurück. Inzwischen lag das erste Plakat auf der Ladefläche des Pritschenwagens, ein weiteres Plakat auf dem Boden, und ein Arbeiter auf dem Kran schickte sich gerade an, das riesige Plakat über dem Eingang (geschätzte sechs, sieben Meter breit) zu entfernen.
Ich sprach einen der Arbeiter an, und seinem Gesicht nach zu urteilen, muss ich ziemlich viel unverständliches Zeug geredet haben. Er sah mich ratlos an und kratzte sich am Kopf. Ich zeigte auf das Plakat, das am Boden lag, dann auf die Wand, die jetzt kahl war, dann auf mich, dann auf das Plakat auf dem Wagen, und hab das Ganze noch ein paarmal wiederholt. Dann hellte sich seine Miene auf, er hatte begriffen. Er ging zum Lieferwagen, nahm eine große Rolle herunter, ließ sie aufrollen, und das war das erste Plakat, genau das, was ich haben wollte. Ich machte ein fragendes Gesicht, und deutete auf das Plakat und wieder auf mich, ob ich es haben dürfte. „Si“, lächelte er, drückte mir ein Ende des Plakats in die Hand und gemeinsam rollten wir es schön fest wieder auf, dann gab er es mir mit einem Kopfnicken. Ich hatte einen Kloß im Hals. Was für ein Souvenir! Ein Originalplakat der Carlos-Konzerte. Nicht nur aus Papier, sondern aus schwerer Leinwand. Und wie nett von diesem Menschen, mir zu helfen. „Muchas gracias“, kriegte ich noch zustande, küsste diesen göttlichsten aller Madrider Arbeiter auf die Wange und verschwand blitzschnell mit meinem Raub, bevor er es sich womöglich anders überlegte.
Und diese Rolle stand nun in der Zimmerecke im Hostal Gran Via 63: ein großes Plakat, sorgfältig zusammengerollt, und ich wollte es unbedingt mit nach Hause nehmen. Ich würde es irgendwie verpacken und als zusätzliches Gepäckstück deklarieren müssen. Gab es hier im Kaufhaus vielleicht große Papprollen? Groß genug für dieses Riesenteil? An der schmalen Seite aufgerollt maß es schon 1,50 Meter. Und wie dieses Ding ins Flugzeug bekommen? Es würde Übergepäck kosten, vielleicht zehn, fünfzehn Euro. Egal, das sollte es mir wert sein.
Montag, 27.06.2011 – Abreisetag
Als ich aufwachte, war mein erster Gedanke: Heute muss ich nach Hause. MUSS. Oh nein. Ich hatte mich seit Jahren nirgends mehr so wohl gefühlt wie in Madrid, ich vertrug die Hitze gut, hatte nicht ein einziges meiner üblichen Wehwehchen – nein, ich wollte nicht heim. Ob mit oder ohne Carlos: ich hatte Madrid ins Herz geschlossen, unwiderruflich. Immerhin ging der Flieger erst abends um viertel vor acht, ich konnte den Tag also noch nutzen.
Es hielt mich nicht mehr im Bett, ich zog mich schnell an und ging los. Das Zimmer musste bis um 12 Uhr geräumt werden, ich durfte das Gepäck aber noch bis nachmittags im Hostal lassen. Zeit genug, noch ein passendes Behältnis für mein Monster-Poster zu besorgen.
Erste Station: Internetcafé: „Montag, 27. Juni 2011, 09:58 Hola! Ich sitze wieder im Internetcafe, mein iPhone ist dem Hitzschlag erlegen. Die Ueberdosis Madrid ist uebrigens noch steigerungsfaehig. Ich bin gestern abend hier aus dem Café raus und noch ein bisschen herumgebummelt. Und auf dem Rueckweg zum Hotel (das schraeg gegenueber vom Teatro Compac Gran Via ist) hab ich gesehen, dass sie dabei waren, die Plakate am Teatro auszuwechseln, Carlos abmontieren und die Plakate fuer die nachste Show aufhaengen. Und die wollten Carlos WEGWERFEN!!!! Sowas kann ich natuerlich nicht zulassen.
Ich komme also (hoffentlich) mit einem Originalplakat von der Show nach Hause, d.h., falls es mir gelingt, das Ding irgendwie zu verpacken und mit ins Flugzeug zu kriegen. Es ist naemlich ungefahr 1,50 x 2,00 Meter gross und aus schwerem Textil… Ansonsten gehe ich heute noch in den Retiro Park, den hab ich bislang nur gestreift, dann am Nachmittag zum Flughafen und um 22.15 Uhr soll der Flieger in Duesseldorf landen. Bis ich dann zu Hause bin… Bussi an alle und bis nachher! Morgen hab ich noch Urlaub, gut, dass ich mir den Tag auch noch freigenommen habe… „
Und damit zog ich los, immer die Uhr im Auge, denn ich musste ja mein Zimmer rechtzeitig räumen. Zusammengepackt war schon alles. Meine Suche nach einer passenden Verpackung für mein Souvenir hatte ich später in einer Nachricht nach Hause wie folgt beschrieben:
„Montag, 27. Juni 2011, 16:23 Hahaha, das war total lustig. Ich war im Kaufhaus und hab versucht, eine grosse Papprolle fuer das Plakat zu bekommen. Nun versucht mal, einer spanischen Kaufhausangestellten, die kein Wort englisch kann, zu erklaeren „ich-brauche-bitte-eine-grosse-Papprolle-in-der-das-Plakat-von-Carlos-Platz-hat“. Ich habs dann mit Zeichensprache versucht, hab mir einen Briefumschlag aus dem Regal genommen und eine Rolle Geschenkpapier, hab auf den Umschlag gezeigt, das Wort „parqueta“ fiel mir zum Glueck noch ein, und dann auf die Rolle und hab dann mit Zeichensprache klargemacht, dass ich so etwas in GANZ GROSS suche. Hat geklappt! Tubo heisst das! Ganz einfach! Ich hab zwar das Plakat noch einmal laengs knicken muessen, aber es ist verstaut. Ich bin nur gespannt, was die gleich am Flughafen dazu sagen werden…“
Plakat verstaut, Reisetasche und Papprolle an der Rezeption des Hostal abgegeben und dann: Retiro Park!
Mit der Metro konnte ich gleich durchfahren, und wenn man aus der Metro-Station „Retiro“ kommt, steht man praktisch schon mitten im Park.
Der Reiseführer verriet, dass man am besten erst einmal die Hauptachse des Parks entlangwandert und dann nach Gusto rechts und links abschweift. Bis ich gegenüber dem Monumento Alfonso XII und dem wunderschönen See angekommen war, verging schon mindestens eine halbe Stunde, es gab so viel zu sehen und zu fotografieren. Außerdem, nicht vergessen, es hatte ja inzwischen schon wieder weit über 30 Grad. Ich setzte mich auf eine Bank gegenüber dem See und sah den Ruderbooten zu. Schräg vor mir saß ein Gitarrenspieler, und der war auch wieder typisch für etwas, das ich in Madrid liebgewonnen hatte: an jeder Ecke gibt es Musik, und die meisten Straßenmusiker sind wirklich richtig gut. Vor allem diese leichten spanischen Gitarrenklänge begleiteten mich überall:
Überall rund um den See sind kleine Cafés und Restaurationsbetriebe, und viele nutzen die Chance, bei herrlichem Ausblick im Schatten unter Bäumen zu sitzen. Die Stimmung ist absolut relaxed. Der Park, der ehemalige königliche Park, ist der große Garten der Madrilenen, ein riesiges Areal, wo jeder ein ruhiges Plätzchen im Schatten, oder im Winter auch in der wärmenden Sonne finden kann. Der Baumbestand ist uralt, an jeder Wegkreuzung gibt es etwas anderes zu sehen, Brunnen, Denkmäler, kleine Kunstwerke. Menschen flanieren, führen Hunde aus, fotografieren, joggen, liegen einfach nur im Gras unter einem der uralten Bäume – Entspannung pur.
Im Inneren des Parks gibt es gleich zwei sehr ungewöhnliche Gebäude, die man schon aufgrund der Architektur genauer ansehen sollte. Das eine ist der Palacio de Velázquez:
und das andere der Palacio de Cristal.
In beiden Gebäuden finden Kunstausstellungen und Kunstprojekte statt, im Kristallpalast gab es zum Beispiel, als ich drin war, eine akustische Installation mit künstlich erzeugten Tönen, was im Gesamteindruck mit der Durchsichtigkeit ringsum ein ganz seltsames, fremdes Gefühl auslöste. So, als sei man auf einem anderen Planeten gelandet.
Es nützte nichts, am Nachmittag musste ich mich wieder in Richtung Hostal auf den Weg machen, um mein Gepäck abzuholen und zum Flughafen zu fahren. Wieder brauchte ich Hilfe, weil ich an der Metro-Sation auf dem falschen Bahnsteig war, und diesmal waren es zwei freundliche Arbeiter, denen ich den Metro-Plan zeigte und sagte, dass ich mit der „linea ocho“ zum „aeroporto“ müsste, die es sich nicht nehmen ließen, mir tatkräftig zu helfen. Einer trug mir sogar meine Tasche über die zahlreichen kleine Treppchen von einem Bahnsteig zum anderen und gab nicht eher Ruhe, bis ich am richtigen Gleis stand und genau wusste, in welche Linie ich einsteigen müsste. Ach, dieser Charme, diese Hilfsbereitschaft, die menschliche Wärme und Herzlichkeit – das vermisse ich am meisten.
Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Ich musste ja mein XXL-Souvenir noch sicher ins Flugzeug bringen. Am Flughafen Madrid wollte man mir nämlich für das zweite „Gepäckstück“ (die Papprolle) 60 Euro abknöpfen! Ich hab dem Mann beim Einchecken klargemacht, dass der Preis ja wohl eine Unverschämtheit sei und bin zum Security-Check gegangen, hab denen erklärt, das sei ein Plakat und Andenken, und so schönes Konzert und hach! mir fehlt Madrid jetzt schon *heulheul* – und ich durfte es als Handgepäck mit ins Flugzeug nehmen. Kostenlos, versteht sich. 😆
Und so endete mein Fünf-Tage-Trip nach Madrid, man erinnere sich, meine erste Reise nach Spanien überhaupt. Und auch davon möchte ich mehr, mehr, mehr. Wer weiß, vielleicht im nächsten Jahr?