Vanessa Mansini: Im falschen Film

Vanessa Mansini: Im falschen Film
Vanessa Mansini: Im falschen Film

Wer sich mit den Büchern der Autorin Vanessa Mansini beschäftigt hat, wird bereits wissen, dass sich dahinter in Wirklichkeit ein Mann verbirgt: der Autor Michael Meisheit. Michael arbeitet seit langem als Drehbuchautor für die „Lindenstraße„, aber damit ist sein kreatives Potential noch lange nicht am Ende. Er experimentiert mit unterschiedlichen Darstellungsformen, mit dem Internet, mit Blogs – alles nachzulesen auf seiner Webseite -, und sein neuester Coup ist ein Roman in Fortsetzungen. Alle zwei Wochen eine neue Folge. Jeweils mit Cliffhanger, ganz wie in der richtigen Soap. Gelernt ist schließlich gelernt. :-)

Ich habe das Glück und das große Vergnügen, auch bei diesem Projekt als Testleserin am Entstehungsprozess teilzunehmen, und natürlich werde ich hier keine Einzelheiten verraten. Aber da mir das Buch so gut gefällt, ist ein Hinweis, eine Werbung mir geradezu ein Bedürfnis:

Hauptfigur ist die Berlinerin Trixi Kwiatkowski. Das ist aber auch schon alles, was man zunächst über sie weiß, denn Trixi erwacht nach einem Autounfall im Krankenhaus und kann sich an nichts erinnern. Nicht an den Unfall, nicht an ihren Mann, nicht einmal an ihr Leben, zumindest große Teile davon. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus versucht Trixi verzweifelt, ihr Gedächtnis wieder zusammenzusetzen, aber die einzelnen Puzzlestücke passen nicht: sie arbeitet in einer Videothek, obwohl sie eigentlich Fotografin ist. Ihre Kamera ist allerdings verschwunden und nicht auffindbar. Was bedeutet der geheimnisvolle kleine Schlüssel an ihrem Schlüsselbund? Und wieso weiß ihr Mann nichts von ihrer Mitgliedschaft im Fitnessclub und ihrem geheimen Konto? Welche Rolle spielen Mutter und Großtante im Heimatort Lüneburg? Wer ist Freund und wer ist Feind?

Neben dummdreisten Bemerkungen und Sprüchen über ihren Gedächtnisverlust muss sie sich permanent mit der Frage „Wer ist Trixi?“ auseinandersetzen und oft genug eine gedankliche Kehrtwendung machen, wenn sie glaubt, endlich etwas herausgefunden zu haben. Ein atemberaubender Zickzacklauf zwischen einzelnen Wissensinseln, Manipulationen und trügerischen Erinnerungsfetzen…

Die ersten drei Teile sind bereits erschienen, der vierte folgt am 24. Januar 2014. Unbedingt lesenswert!

Elke Bergsma: Tödliche Saat

Elke Bergsma: Tödliche Saat

Elke Bergsma: Tödliche Saat

Der arme Hasenkrug wird diesmal sehr gebeutelt. Nicht nur, dass er und sein Chef, Kommissar Büttner, im beschaulichen Örtchen Greetsiel einen ziemlich unappetitlichen Mordfall aufklären müssen – es gibt auch noch eine beinahe unübersehbare Schar von Verdächtigen. Außerdem spielen in diesem sehr vergnüglichen Ostfriesenkrimi eine Getreidemühle, Bienen, ein Internet-Blog, eine rabiate Ur-Oma, Kuh Erna und Pestizide eine Rolle, und Hasenkrug muss sich näher mit all diesen Dingen beschäftigen, als ihm lieb ist. Von den ständigen Verdrehungen seines Namens ganz zu schweigen.

Ostfriesland und dessen mundfaule, aber handfeste Einwohner sind auch diesmal die Protagonisten, und Elke Bergsma erzählt nicht nur sehr unterhaltsam, sondern löst den verzwickten Fall in einem dramatischen Finale völlig logisch auf. Und wie bei jedem guten Krimi denkt man sich am Schluss, man hätte eigentlich drauf kommen müssen… 😉

Daumen hoch und fünf Sterne!

Pola Kinski: Kindermund

Pola Kinski: Kindermund ©Kinski/Bartscherer
Pola Kinski: Kindermund ©Kinski/Bartscherer

Ein schwerer Brocken lag unterm Weihnachtsbaum – aber ich hatte mir das Buch gewünscht. Obwohl es schon fast ein Jahr veröffentlicht ist und ich es unbedingt lesen wollte, hatte ich mich bisher unwohl und vorsichtig drumherum gedrückt. Zu schwere Kost, um es abends vor dem Schlafengehen oder zwischendurch in der Bahn zu lesen. An den Feiertagen ist Zeit.

Vorweg: ich glaube Pola Kinski jedes Wort, das im Buch steht. Jedes. Einzelne. Wort. Eine solche Geschichte kann sich niemand einfach so ausdenken. Lächerliche Vorwürfe, sie habe es nur geschrieben, um auf sich aufmerksam zu machen. Warum sollte sie? Warum sollte sie sich freiwillig den zwangsläufig folgenden öffentlichen Zweifeln aussetzen, 20 Jahre nach dem Tod ihres Vaters?

Ein schwieriges Buch, wuchtig und intensiv geschrieben, es hinterlässt den Leser ratlos und wütend zugleich. Es geht gar nicht so sehr um Kinski, oder um seine Tochter, um prominent oder nicht, es geht in diesem Buch vor allem um Konstellationen, in denen Missbrauch entstehen kann und oft genug entsteht. Weil weggesehen wird, weil die Umwelt gleichgültig ist. Weil es „doch nicht so schlimm“ ist. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als mindestens ein zerstörtes Leben.

Ich habe das Buch in einem Zug ausgelesen, es ist von solcher Intensität, dass es einen hineinzieht und man immer weiter liest, auch wenn es schwer erträglich ist. Pola Kinski ist nur wenige Jahre älter als ich, und das Nachkriegsdeutschland, das sie beschreibt, kenne ich auch noch. Dieses Verklemmte, dieses Schweigen, im Kino die heile Welt. Nicht für Kinder wie Pola, die zwischen beiden Elternteilen hin und hergerissen ist. Ignoriert von der Mutter, verwöhnt wie eine Prinzessin vom Vater, auf der Suche nach Liebe und restlos abhängig von jeder Zuwendung, die sie überhaupt bekommt. Im Schweigen gefangen durch Erpressung: „Wenn du jemandem etwas sagst, muss ich ins Gefängnis.“

Wer nach der Lektüre dieses Buchs immer noch fragen kann, warum sie damals nichts gesagt hat oder warum sie erst so spät ihr Schweigen bricht – der hat nichts verstanden. Schade nur, dass es erst so spät veröffentlicht wurde, aus zwei Gründen: Kinski hätte hinter Gitter oder zumindest in die geschlossene Anstalt gehört, und vielleicht wäre das Thema Kindesmissbrauch schon viel früher intensiv diskutiert worden.

Pola Kinski hat meine Bewunderung. Sie ist eine mutige Frau, die nicht nur ihr eigenes, ganz privates Erleben und dessen Schrecken öffentlich macht, sondern sie hat ihr Leben beherzt angepackt und es irgendwie gemeistert. Ich hoffe sehr, sie hat auch Glück ohne Schatten erleben dürfen.

Elke Bergsma: Das Teekomplott

Elke Bergsma: Das Teekomplott
Elke Bergsma: Das Teekomplott

Tee spielt in der Tat eine große Rolle in diesem äußerst unterhaltsamen Ostfriesland-Krimi. :-)

Damit hatte Kommissar Büttner nicht gerechnet, als er sich aus Hamburg nach Ostfriesland versetzen ließ: dass er viele Tage im beschaulichen Dorf Canhusen verbringen muss, um bizarre Mordfälle aufzuklären. Denn aus einem Toten, der auf dem Feld gefunden wird, werden schnell einige mehr. Kommissar Büttner, dessen Tageseinteilung sich normalerweise an den köstlichen Mahlzeiten orientiert, die seine Gattin für ihn zubereitet, muss immer wieder seine Ermittlungen völlig neu aufrollen. Und zu seinem Ärger Mahlzeiten ausfallen lassen. Jeder in Canhusen ist verdächtig. Bringen ein altes Foto und die Teebeutel an den Tatorten ihn auf die richtige Spur?

Ich habe mich beim Lesen dieses Krimis köstlich amüsiert. Elke Bergsma hat nicht nur eine verzwickte Geschichte spannend geschrieben und logisch aufgelöst, fast vergnüglicher noch sind die Charaktere, die sie beschreibt. Kauzig, stur, streitsüchtig, aber sie halten zusammen wie Pech und Schwefel. Ostfriesen eben. Man muss sie einfach mögen. Wenn man von der Altherrenriege absieht. Aber lest am besten selbst. :-)

Amazon-Autorenseite von Elke Bergsma

The Anarchist Detective (Jason Webster)

Auf dieses Buch war ich sehr gespannt. Die Hauptfigur, der Polizist Max Cámara, ist mir ans Herz gewachsen, seit ich die ersten beiden Max Cámara-Krimis La Muerte (Originaltitel: „Or the bull kills you“) und A Death In Valencia (leider noch nicht in deutscher Übersetzung erhältlich) gelesen habe. Ich erwartete einen weiteren, spektakulären Kriminalfall, genussvoll vor einem farbenprächtigen, valencianischen Hintergrund ausgebreitet.

So kann man sich täuschen – in positiver Hinsicht. Ja, es geht wieder um einen Mord, diesmal an einem fünfzehnjährigen Mädchen. Es geht um ein Massengrab aus den Vierziger Jahren mitten in Albacete, Max’s Heimatstadt. Es geht um seinen Großvater Hilario, es geht um Safran, um den Spanischen Bürgerkrieg, um die Blaue Division im II. Weltkrieg (von deren Existenz ich, das muss ich zu meiner Schande gestehen, keine Ahnung hatte), es geht um Liebe, um die Notwendigkeit zu töten, um selber zu überleben – und es geht vor allem und immer um Max, der zwischen Damals und Heute einen Mörder jagt und selbst nicht weiß, wie alle früheren und jetzigen Ereignisse miteinander verwoben sind und nichtsahnend seine eigene Familiengeschichte aufwühlt. Max driftet zwischen den Ereignissen, unentschlossen, er muss sich fragen, was all diese Dinge mit ihm zu tun haben. Und ohne dass er es will, wird er einerseits getrieben und gewinnt andererseits Klarheit über sein eigenes Leben und vielleicht auch seine Zukunft, das bleibt am Schluss offen.

Wieder ein Buch über den Spanischen Bürgerkrieg? Nein. Aber eines, das ohne diese Geschichte nicht denkbar wäre. Ein Buch, das ohne direkte Rückblicke in die Vergangenheit deutlich macht, wie sehr diese furchtbare Zeit Spuren in den Menschen, in den Familien hinterlassen hat, und warum es auch heute noch schmerzt, Dinge wieder aufzuwühlen. Denn eines ist klar: es schmerzt. Es schmerzt, Massengräber zu untersuchen, es schmerzt, festzustellen, dass Familienmitglieder dort verscharrt wurden. Es schmerzt, deren Mörder oder Verräter oder deren Abkömmlinge ungestraft und frei herumlaufen zu sehen, oft in der selben Stadt, im selben Ort. Aber die Dinge auf sich beruhen zu lassen, wie die „Rechten“ in Spanien es wollen, ist falsch und nur ein Zeichen von Feigheit und Angst.

Vieles in diesem Buch war überraschend, manches verstörend, machte nachdenklich, viele Hinweise auf den Mörder des jungen Mädchens sind ausgelegt, und wie bei jeder gut durchdachten Geschichte weiß man erst ganz am Schluss Bescheid, fragt sich aber gleichzeitig, wieso man nicht eher draufgekommen ist.

Begeistert hat mich, wie Jason Webster dieses Buch geschrieben hat, es ist der beste Max Cámara-Band bisher, ohne Zweifel. Es ist faszinierend, wie die ganzen Handlungsstränge miteinander verknüpft sind, wie Jason Webster es versteht, mit wenigen, aber unglaublich treffend ausgewählten Worten oder dürren Bildern eine Straße, eine Landschaft, eine Stimmung oder einen Menschen zu skizzieren. Großartig, wie er scheinbar beiläufig, aber sehr nachhaltig den Spanischen Bürgerkrieg hineingewoben hat, in einer Weise, dass das Thema einen so schnell nicht loslässt. Er ist wirklich ein Meister, und er wird immer besser.

Nur ein Punkt hat mich ein wenig irritiert, und ich frage mich, ob es so offensichtlich war oder ob ich einfach nur einen Zufallstreffer gelandet habe: auf den Mörder des jungen Mädchens hatte ich von Anfang an getippt, vielleicht war es nur ein Gefühl, ein Instinkt, ich weiß es nicht. Jedenfalls ertappte ich mich dabei, das Buch im Hinblick darauf zu lesen, wie Max ihm nun eigentlich auf die Schliche kommt. Trotzdem habe ich natürlich die Lektüre sehr genossen und fand es spannend, sonst hätte ich es sicher nicht in einem Zug gelesen! :-) Und ich hätte ja auch völlig falsch liegen können… 😉

Am Schluss von „The Anarchist Detective“ kann Max endlich Entscheidungen treffen. Welche, bleibt offen. Entweder ist es das Ende der Max Cámara-Bücher – oder ein Auftakt für weitere Bände. Das weiß nur Jason Webster. :-)

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English review

Before the release of the book I had been very eager and curious at the same time to read another Max Cámara story from Jason Webster, and I was happy to download the Kindle version right before the weekend, having time to read it at once. I love Max, he is a wonderful, deep, interesting, edged character. I always love these. I wasn’t quite sure what I expected before, perhaps another spectacular criminal case, delightfully laid out in front of a colorful, Valencian background.

I was fooled – in a positive way. Yes, there is a murder, this time a fifteen year old girl. But there are a lot more incidents going on and happening: It’s also about a mass grave from the forties in the middle of Albacete, Max’s hometown. It’s about his grandfather, Hilario, it’s about saffron, it’s about the Spanish Civil War up to the Blue Division in World War II (of whose existence, I’m ashamed to confess, I had no idea), it’s about love, it’s about the need to kill to survive – and it is all and always dealing with Max chasing a murderer between then and now. He not even knows that he is about to stir his own family history. Max drifts between events, indecisive, he must be wondering what all these things have to do with him. And without wanting it, he is forced to make decisions about his own life and his future. Which ones, remains open.

Again a book about the Spanish Civil War? No. But a book which could possibly not have been written without this historical background. A book that doesn’t do flashbacks into the past, but shows exactly how much the terrible time has left its mark on people, in families, and why it still hurts today, stirring up things again. One thing is clear: it hurts. It hurts to investigate mass graves, it hurts to realize that family members were buried there. It hurts to see their murderers or traitors or their descendants move freely and with impunity, often in the same city, in the same place. But to let the things been forgotten, what the “rights” in Spain want to do, is wrong and only a sign of cowardice and fear.

Much in this book was surprising, disturbing, made me thoughtful, many references to the murderer of the young girl are placed, but as in any well thought out story you only know the truth at the very end, but you wonder why you haven’t seen that come. :-)

It’s thrilling and brilliant how Jason Webster has written this book, it’s the best Max Cámara book, without a doubt. It’s fascinating how all the storylines are linked, Jason Webster knows how to sketch a road, a landscape, a mood, a character with a few, but incredibly aptly selected words. Brilliant how seemingly casual, but very sustainable he has woven the Spanish Civil War into the story, in a way, that the issue will not be forgotten very soon. He is really a master, and he is getting better and better.

Just one point confused me a bit, and I wonder if it was so obvious or if I’ve just landed a fluke: for me was pretty clear from the beginning, who murdered the young girl. Maybe it was just a feeling or instinct, but I found myself reading the book in terms of how and when Max will discover it. But don’t get me wrong, nevertheless I enjoyed reading very much, otherwise I wouldn’t have read it in one go. :-) And also I could have been wrong, so…

I’m not sure about the end though. Max is free to make decisions about his life now. Will this be the end of Max Cámara books? Or the start of some new ones? Only Jason Webster knows. :-)

Nicht von dieser Welt

Vanessa Mansini: Nicht von dieser Welt
Vanessa Mansini: Nicht von dieser Welt

Vanessa Mansini: Nicht von dieser Welt

Klappentext: Typisch: Der beste Kerl hat den größten Knall!
Vanessa trifft ihren Traummann. Wahnsinnig attraktiv, charmant, klug, wunderschöne Hände und er riecht so gut! Das passiert nur einmal im Leben. Höchstens. Doch natürlich hat die Sache diverse Haken.
Erstens: Sie ist verheiratet. Unglücklich, aber na ja. Zweitens: Mit Schmetterlingen im Bauch wird es schwer, denn dort hockt bereits ein Baby. Flirten mit Babybauch ist nicht gerade einfach. Drittens: Der Traummann ist nicht an ihr interessiert. Zumindest nicht so, wie sie sich das wünscht. Er will „nur reden“.
Aber glaubt man’s? Diese drei Probleme sind ein Witz gegen das eigentliche Problem. Das ist so unfassbar, das muss man einfach selbst lesen. In „Nicht von dieser Welt“ – Vanessas geheimem Blogroman darüber, wie der vermeintliche Mr. Right ihre Welt auf den Kopf stellt …

Das ist mir lange nicht mehr passiert – dass ich die halbe Nacht lese, dann beim Frühstück, im Zug, und das Buch nach nicht einmal 24 Stunden schon durch habe. Noch dazu eins, das ich schon kenne! Ursprünglich war das nämlich ein Blog-Roman des Lindenstraßen-Autors Michael Meisheit, den ich vor ungefähr zwei Jahren gelesen habe und bei dem man – hechel, hechel – immer viel zu lange auf das nächste Kapitel warten musste. Die Story jetzt noch einmal kompakt als Buch (bzw. Kindle) zu haben, ist geradezu ein Geschenk!
Zum Inhalt sage ich nichts, nur, dass ich wieder erfreut und begeistert war von den vielen unerwarteten Wendungen, die die Geschichte nimmt, dass ich mitgefiebert habe, wie sich alles entwickelt (wie gesagt, obwohl ich es eigentlich schon wusste) – und dieser Stefan Müller wäre ganz sicher ein Typ, mit dem ich auch zu Hertha gehen würde. :-)

Ein Riesenspaß, supergut geschrieben, mitten aus dem Leben. Und als Fazit: vielleicht sollte man demnächst etwas genauer hinschauen, wenn einem jemand eine völlig unwahrscheinliche Geschichte erzählt, vielleicht ist es ja Stoff für einen Roman… 😉

Wie Traumata in die nächste Generation wirken

Wer – wie ich – als sogenannte „Nachkriegsgeneration“ aufgewachsen ist, weiß, was ich meine. Die Elterngeneration, die den Krieg erlebt hat, ob als Täter oder Opfer, ist vor allem eine Generation des Schweigens. Des kollektiven Schweigens. Des „wir wollen unserer Ruhe haben“, des „das tut man nicht“ und natürlich dieses „ihr sollt es mal besser haben“. Nicht auffallen, Mund halten, etwas leisten – dann kommt man gut durch. Fragen nach dem Krieg und persönlichen Erlebnissen wurden nicht oder nur sehr oberflächlich beantwortet, Ungereimtheiten, Tabus, völlig unverständliche Reaktionen, emotionale Kälte, Berührungsängste begleiteten mich durch meine ganze Kindheit und Jugend und haben Spuren hinterlassen, die ich erstaunlicherweise jetzt, selber im fortgeschrittenen Alter, erst mit voller Wucht spüre. Vorher fand ich das alles „normal“ bzw. suchte Schuld immer bei mir selbst.
Die 68er-Bewegung hat Vieles in Gang gesetzt, die Gesellschaft veränderte sich, viele Kriegsereignisse sind aufgeklärt, untersucht, immer wieder durchgekaut worden. Aber wie wirkte sich die Traumatisierung durch den Krieg auf Einzelne aus, auf die Erziehung, auf das Klima in den Familien? Und traumatisiert war 1945 und in den Jahren danach mehr oder weniger die ganze Bevölkerung, durch Gewalt, Verlust, Grausamkeiten, Tod, Schuld, Erkenntnis dessen, was geschehen war. Verdrängung war die Folge.

Auf der Suche nach der Herkunft meiner zahlreichen Macken und Neurosen, auch aufgrund vieler Beobachtungen früher und heute, zunehmenden Fällen von Depressionen und Burn-Out in Familie und Freundeskreis bin ich vor kurzem erst auf das Thema „Transgenerationale Weitergabe von Traumata“ gestoßen. Erst seit wenigen Jahren wird überhaupt thematisiert, dass die traumatisierte Generation ihre Verstörtheit vielfach an die nächste Generation weitergegeben hat, die dieselben oder vergleichbare Störungen aufweist, ohne selbst Traumata erlebt zu haben.

Der Klappentext drückt es besser aus:
„Traumatisierte Menschen haben oft alle psychische Kraft dazu verwendet, ihre Erfahrungen, Kriegstraumata und sexuelle Gewalterfahrungen, in sich einzukapseln und vor sich und den anderen zu verstecken – und sie schweigen. Oder sie wollen andere nicht belasten – und sie schweigen. Eltern werden so gegenüber ihren Kindern zu Botschaftern des Schweigens. Auch wenn dies menschliche und verständliche, oftmals fürsorgliche Bewältigungsstrategien des Schreckens sind, so sorgt gerade das Schweigen dafür, dass die Traumata an die nächsten Generationen mit nachhaltigen Folgen weitergegeben werden.“

Im Moment lese ich dieses Buch, und es hat mir schon (bevor ich überhaupt durch bin, Stand 08.Mai 2013) etliche Aha-Erlebnisse verschafft. Und ich kann es den „Nachgeborenen“ nur heftigst empfehlen:

Udo Baer, Gabriele Frick-Baer: Wie Traumata in die nächste Generation wirken

Schwester Jordana: Auf einen Tee in der Wüste

Zu diesem Buch bin ich gekommen wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: „Ich hab hier noch ein Rezensionsexemplar“, sagt Jordanas Co-Autorin Iris Rohmann und drückt mir – im Austausch gegen mein eigenes – ein Buch in die Hand.

Eine Nonne, die mit einem Kamerateam in den Nahen Osten fährt? Ja, und? Kirche ist nicht so meins, Nonnen schon gar nicht, der Nahe Osten ist unübersichtlich und kompliziert … Aber gut, Reiseberichte interessieren mich immer, und diese Konstellation – Dominikanerschwester, junger Autor, eine gemeinsame Reise mit dem Auto durch mehrere Länder nach Israel – ist zumindest eine sehr ungewöhnliche. Alles scheint möglich.

Die ersten Seiten lese ich skeptisch. Aber das Buch gefällt mir, irgendwie. Schwester Jordana hat eine erfrischende und unverbrauchte Weise, an die Dinge heranzugehen, und zwischen der Fülle an politischen und religiösen Informationen über die Türkei, Syrien, den Libanon, Israel blitzt erfreulicherweise immer wieder gesunder Menschenverstand auf.

Erst im Laufe der Zeit lerne ich, warum Jordana eigentlich unterwegs ist, und dass es sich um eine vierteilige Serie im ZDF handelte. Das geht aus dem Buch nicht so deutlich hervor, und auch eine Karte wäre hilfreich gewesen, denn es ging ja um die Stationen eines der Kreuzzüge. Auf den Internetseiten des ZDF werde ich aber schnell fündig und habe nun auch die Bilder zum Buch.

Erkenntnisse? Um ehrlich zu sein: keine wesentlich neuen. Es ist glaube ich egal, wer mit wem und wo unterwegs ist, auf Reisen stellt man immer wieder fest, wie ähnlich wir Menschen uns trotz aller äußerlichen, religiösen und kulturellen Unterschiede sind. Jeder möchte genug zu essen, ein Dach über dem Kopf und Frieden und Sicherheit für seine Familie, ganz gleich, wo er lebt. Und wenn man neugierig genug ist, wie Schwester Jordana, kann man das in jedem Menschen und in jeder Kultur wiederfinden, man muss nur die Augen und sein Herz öffnen. Und ob die Stimme im Kopf und im Herzen nun Gott, Allah oder sonstwie heißt, ist eigentlich völlig egal – Hauptsache, wir hören auf sie.

Und, mit Verlaub: mich haben die Reise und die Erlebnisse sehr stark an eine andere große Reise erinnert: Long Way Round, die Motorradtour der Schauspieler Ewan McGregor und Charley Boorman rund um den Globus. Deren Erkenntnisse über sich selbst und Menschen schlechthin während und nach der Reise waren denen von Jordana ganz erstaunlich ähnlich, auch wenn sie mit ganz anderen Zielen aufgebrochen waren…

Schwester Jordana: Auf einen Tee in der Wüste bei Amazon