Trauer „nur“ virtuell

Es ist in den letzten Tagen schon so viel über den verstorbenen Blogger und Twitterer Johannes Korten geschrieben worden, und von allen besser, als ich es je könnte. Trotzdem, es treibt mich um. Ich bin sehr, sehr traurig. Kann man um jemanden trauern, den man „nur“ über die sogenannten „sozialen Netzwerke“ kennt, gekannt hat? Seit dieser Woche beantworte ich die Frage eindeutig mit „ja“.

Im vergangenen Jahr bin ich auf ihn aufmerksam geworden, als er die Aktion „Ein Buch für Kai“ ins Leben rief, die überaus erfolgreich war. Wie das oft so ist, man „stolpert“ bei Twitter über einen Account, der einen neugierig macht, man entdeckt den Menschen dahinter und liest seine Veröffentlichungen mit. Man wird zum „Follower“, wie man das auf Twitter nennt.

Johannes machte mich neugierig. Seine Kreativität, seine Ideen, seine Gedanken, seine Haltung, immer menschlich, aber fest in seinen Überzeugungen, das alles imponierte mir und ich bekam, was im Netz eher selten der Fall ist, Respekt vor diesem Menschen. Dass ich ihn für mich, im Stillen, Johannes nannte, ist eine dieser Eigentümlichkeiten der modernen Medienwelt: eine tatsächlich empfundene Nähe über das Internet, ohne sich zu kennen, ohne sich auch räumlich gegenüber zu sitzen. Vieles, was er schrieb, gefiel mir, berührte mich, und möglicherweise hat auch irgendetwas, was ich geschrieben habe, ihm gefallen.

Bald schon folgte Johannes auch mir auf Twitter, ich weiß noch, dass ich mich darüber freute, das eine oder andere Wort werden wir ausgetauscht haben, das Medium Twitter ist in einem Moment intensiv, und gleich darauf wieder flüchtig. Andere Dinge drängen sich ins Bild, und der gute Gedanke, den man gerade noch hatte, ist weg. Gerade in der letzten Zeit, wo sich viele Ereignisse überschlagen, die man kaum wegstecken kann und die offenbar auch Johannes sehr zugesetzt haben.

Als ich mich zur re:publica im Mai in Berlin anmeldete, stellte ich erfreut fest, dass er dort einen Vortrag über seine Aktion „Ein Buch für Kai“ halten wollte. Der Termin wurde noch vor allen anderen fest notiert, und natürlich saß ich im Publikum:

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Hier der ganze Vortrag:

Ich kann nicht besonders gut auf Menschen zugehen, vermutlich war Johannes nach dem Vortrag ohnehin umringt von Bekannten, Freunden, vielleicht musste ich auch weiter, zur nächsten Veranstaltung, ich weiß es nicht. Jedenfalls habe ich ihn nicht angesprochen und flüchtig gedacht, naja, dann im nächsten Jahr. Vielleicht kommt man mal ins Gespräch. Das wäre schön. Ich schreib ihm auf Twitter.

Ich las weiter mit, antwortete hier und da, sah die Fotos mit seinen Kindern, las seinen Blog, der mir in letzter Zeit düsterer erschien. Auch die Fotos. Immer schwarz-weiß, nun ja, das gibt dem Ganzen eine künstlerische Note. Ich dachte, es sei eine allgemeine Unlust, eine Frustration, wie sie einen in diesen unruhigen Zeiten durchaus befallen kann, wenn man oft genug glaubt, gegen Windmühlenflügel zu kämpfen. Ich habe die Zeichen nicht gesehen, so ist das leider, wenn man jemanden eben doch nicht wirklich kennt.

Und dann kam der vergangene Montag, der beschissenste Montag ever, nach einem Wochenende mit Gewalt und Anschlägen, das schon beschissen genug war. Gegen neun Uhr am Morgen las ich verwirrt, dass Johannes gesucht wurde. Sein eigener letzter Tweet tauchte auf, der Link auf seinen Blog funktionierte in diesem Moment aber nicht.

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Ich verstand nicht, was da los war, fragte herum. Was bedeutet das, ist das ernst gemeint? Er habe einen Abschiedsbrief hinterlassen, hieß es, und mir wurde eiskalt und gleichzeitig schlecht. Endlich kam ich auf die Seite, las den Brief, einmal, zweimal, verstand immer noch nicht. Wollte nicht verstehen, obwohl ich genau spürte, wie ernst es ist. Wie so viele andere verbreitete ich die Meldung weiter: bitte helft, bitte sucht ihn, vielleicht ist es noch nicht zu spät. Die Polizei war eingeschaltet, ein Hubschrauber kreiste über Bochum, eine Suchmeldung war herausgegeben, die auch über die Medien verteilt wurde.

Gegen Mittag dann die schreckliche Gewissheit: die Polizei hat ihn tot aufgefunden. Er hatte es so geplant, er war in seinem Abschiedsbrief glasklar und entschlossen, es gab kein Zurück. Seinen letzten Tweet mag er zeitgesteuert veröffentlicht haben. Als wir anfingen, nach ihm zu suchen, war es wahrscheinlich schon zu spät. Aber man hofft trotzdem…

***

Was ist Trauer? Trauer ist ein Gefühl, das einen unvorbereitet mitten ins Herz trifft und schmerzt, unabhängig davon, wie gut man die Person gekannt hat oder nicht. Es ist das intensive Gefühl, im eigenen Leben plötzlich eine Lücke zu spüren, die nicht zu füllen ist. Es fehlt etwas, das ganz besonders und einmalig war. Johannes‘ Tweets, seine Fotos, seine Blogbeiträge werden mir fehlen. Aber Trauer ist noch mehr: es ist vor allem das Bedauern, Dinge nicht gesagt oder getan zu haben, und festzustellen, dass es unwiderruflich zu spät ist. Ich hätte öfter das Gespräch suchen sollen, auf Twitter. Ich hätte ihn ansprechen sollen, im Mai in Berlin, ich hätte ihn fragen sollen, wie es ihm geht, ich hätte ihm sagen sollen, wie sehr ich ihn, den Menschen Johannes Korten, schätze. Ich will mir nicht einbilden, dass genau dieses Quentchen für ihn einen Unterschied ausgemacht hätte. Vielleicht doch? Vielleicht hätten es ganz viele Quentchen sein müssen. Zu viele. Ich weiß es nicht, und ich werde es nicht mehr erfahren.

Ich würde ihm gerne zurufen, dass sein Leben überhaupt nicht vergeblich war, wie er geglaubt hat, dass er mich und viele andere inspiriert hat, Mitmenschlichkeit zu zeigen, Ideen für ein besseres Miteinander zu entwickeln, dass er ganz vielen Menschen Mut gemacht und sich Respekt verdient hat, obwohl er ihn in seiner Bescheidenheit gar nicht verdient zu haben glaubte.

Wie unermesslich groß muss die Dunkelheit in ihm gewesen sein, wie umfassend seine Verzweiflung, wie quälend das Gefühl, zu nichts nutze zu sein, eine Belastung für andere. Ich kann es mir nicht einmal annähernd vorstellen. Meine Gedanken gelten seiner Familie, seinen Kindern – selbst sie konnten gegen die Dämonen, die ihn quälten, nicht ankommen.

Was bleibt? Der Vorsatz, achtsamer mit Mitmenschen umzugehen, ob virtuell oder persönlich. Und das hier. Dieser Satz wird uns immer an Johannes denken lassen und Ansporn sein:

„Das Netz ist ein guter Ort – wenn wir es gemeinsam dazu machen.“

Wir haben es nicht rechtzeitig geschafft, das Internet und die Welt zu einem Ort zu machen, an dem Du bleiben kannst, Johannes. Aber wir bleiben dran. Mach es gut da oben. Ich bin sicher, Du bist im Himmel gelandet.

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Schiffstaufe in Leer/Ostfriesland

Endlich mal wieder nach Ostfriesland! Gut, nicht direkt ans Meer, aber Wasser gab es auch so genug… Doch dazu später.

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Anlass für die Fahrt war die Einladung von Krimiautorin Elke Bergsma zu einer Schiffstaufe. Elke? Ostfriesland? Schiffstaufe? Passt. :-) Ich war freudig überrascht und buchte mir sofort ein Hotelzimmer in der Nähe des voraussichtlichen Veranstaltungsortes, Fußweg ungefähr fünf Minuten. Zum Glück war ich schnell, denn die Gäste des feierlichen Anlasses reisten aus ganz Deutschland an und buchten auch dort, zudem wohnte im Hotel Hafenspeicher über Pfingsten auch noch die „U15“-Fußballnationalmannschaft, mit anderen Worten: das Haus war voll bis unters Dach.

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Unerfahren mit Festivitäten vom Kaliber einer Schiffstaufe startete ich im Vorfeld einige hektische Anfragen an die Gastgeberin. Man will ja schließlich alles richtig machen.

„Wie ist denn die Kleiderordnung zu diesem Anlass?“ – „Bequem.“

und

„Wo genau liegt denn das Schiff?“ – „Na, bei mir.“

Logisch. Ostfriesland eben. :-)

Also statt Abendkleid solche Dinge wie dicken Pullover und warme Socken eingeplant (vor allem angesichts der Wettervorhersage), zudem den Mantel in den Kofferraum und los gings.

Herrlich, wenn man vom Niederrhein, der nun nicht gerade mit Bergmassiven ausgestattet ist, wieder ins platte Ostfriesland kommt. Nur hier ist es wirklich platt, platter geht nicht, unendliche Weiten, und wie das Sprichwort sagt, man sieht schon am Donnerstag, wer am Sonntag zu Besuch kommen wird.

Auf das Schiff war ich furchtbar neugierig. Wer träumt nicht davon, mal ungebunden durch die Gegend zu schippern, überall bleiben zu können, wo es einem passt, weil man sein Zuhause ja immer bei sich hat?
Elke Bergsma verbindet diese Träume zusätzlich mit ihrem Beruf und ihrer Berufung: „Bookje“ (wird „Bauksche“ ausgesprochen) (fragt nicht) soll als Lese-Boot für entsprechende Veranstaltungen entlang der ostfriesischen Küste und darüber hinaus zur Verfügung stehen. Ungefähr 20 Menschen können Platz finden, und damit bleibt der intime Rahmen gewahrt, den es für Lesungen braucht.

Gegen 14 Uhr versammelten sich die Gäste rund um das Schiff und die gleich daneben gelegene Hafenbar, die uns nicht nur köstlichst verpflegte, sondern bei den zahlreichen Regenschauern zwischendurch, und wenn der Wind mal zu garstig wurde, Zuflucht bot.

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Elke versprach uns in ihrer Begrüßungsrede einen kurzweiligen Nachmittag und Abend, mit einem Rätsel rund um das Schiff, das es zu lösen galt („Bookje spricht zu Euch“, so ungefähr sagte sie), sie kannte und nannte jeden mit Namen, alle Anwesenden hatten auf die eine oder andere Weise mit Büchern, und eben auch mit Elkes Büchern zu tun. In der Mehrzahl waren es Autoren, vor allem Krimi-Autoren, deren hervorstechendste Eigenschaft ist, ständig auf der Suche nach neuen Verbrechen zu sein. Da wird dann auch schonmal die Praxistauglichkeit einer Idee geprobt, wenn sich die Gelegenheit bietet:

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Krimiautorin Nika Lubitsch aus Berlin fungierte als Taufpatin, und nach einer sehr launigen und lustigen Rede wurde, wie es der Brauch ist, ein Champagnerglas auf Deck zerschmettert.

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Der Himmel meinte es mal gut, und mal nicht. Meistens aber gut. Regenschauer gab es zwar zuhauf, aber die verzogen sich immer wieder schnell, und wir hatten ja genug Möglichkeiten, uns unterzustellen. Es wurde gerätselt, das Boot besichtigt, gelacht, erzählt, Wein getrunken, Papierschiffchen gefaltet, dem Shantychor gelauscht, neue Schreib-Pläne geschmiedet, noch mehr Wein getrunken und am Abend ließen wir die Papierschiffchen zu Wasser („die treiben jetzt da hinten hin, bis zur Polizei“, so unsere Kapitänin). Was für ein stimmungsvoller Abschluss eines wunderschönen Tages!

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In „Bookje“ hab ich mich sofort verliebt – was für ein Schmuckstück!

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Schiffsführer Volker (rechts im Bild) beantwortete geduldig und ausführlich jede meiner neugierigen Fragen – und schon hatte ich wieder einiges gelernt. Am Ende auch die Bedeutung der Flaggen, die sich an einer Schnur vom Bug bis zum Heck zogen.

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Das war nämlich die Botschaft, die es von den Gästen zu enträtseln galt. Mit der Hilfe des Internets fand ich mich zurecht, und wurde mit der richtigen Lösung sogar noch als Hauptgewinnerin des Abends ausgelost!

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Ein toller Abschluss eines rundum gelungenen Tages, lustig, stimmungsvoll, super geplant, mal Regen, mal Sonne, Gesang, Schiff, Wind, Stimmung – Ostfriesland eben.

Ich bin schon sehr gespannt auf die zukünftigen Reisen und Veranstaltungen mit und auf „Bookje“, dem Lese-Boot. Einzelheiten dazu wird es sicher bald auf der Webseite geben: www.dat-leseboot.de

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Mast- und Schotbruch, liebe Elke, und immer eine Handbreit Wasser unter’m Kiel!

Wutrede an einen Unbelehrbaren

Bildschirmfoto 2015-10-22 um 22.11.22Es reicht mir. Ich mag diese dummen Sprüche und Kommentare einfach nicht mehr sehen. Mir wird inzwischen bei jeder dieser Hassreden und falschen Nachrichten speiübel. Brauner Müll in allen Foren, auf Facebook, Twitter, in Kommentaren unter Zeitungsartikeln, überall. Als ob das ganze Land nur noch mit dummen, verbohrten, hasserfüllten Menschen besiedelt wäre. Es langt!

Was aber tut man, wenn jemand aus der unmittelbaren Umgebung, mit dem man bei Facebook „befreundet“ ist, denselben Müll verteilt? Wenn ich auf der Facebookseite von jemandem, den ich gut kenne (Korrektur: zu kennen glaubte) dieselben unreflektierten, hasserfüllten und durch und durch falschen Sprüche und Behauptungen lesen muss?

Ich habe lange überlegt und dann so etwas wie „Counter Speech“ versucht. Habe um Quellenangaben gebeten, versucht, sachlich nachzufragen, zu argumentieren, zu widerlegen. Herauszufinden, woher dieser Hass und diese Ablehnung kommt. Keine Chance. Verbohrt, dicht, alles total dicht. Genauso dicht, wie nach der Meinung dieses speziellen jungen Mannes die Grenze zu Deutschland gemacht werden soll, damit nur ja kein „Asylbetrüger“ mehr hier rein kommt, die ja sowieso alle nur unser Geld wollen. Und endlich ist mir der Kragen geplatzt.

Das hier habe ich ihm geschrieben:

Weißt Du, ich bin kein Politiker. Ich weiß nicht, ob man 3.000 Kilometer Grenze einfach so „dicht“ machen kann. Und ich bin auch nicht der Meinung, dass mit der Asylpolitik in diesem Land alles richtig läuft und gelaufen ist, da bin ich völlig bei Dir. Da stimmt so einiges nicht. Ich kriege nur langsam die Wut, dass ich bei einem intelligenten Burschen wie Dir (dachte ich jedenfalls) dieselben dämlichen Lügen und Sprüche und grobe Vereinfachung lesen muss wie an so vielen anderen Stellen im Internet. „Lügenpresse“ ist ein Ausdruck, den Du eifrig benutzt – hast aber kein Problem damit, jede noch so hanebüchene Meldung hier auf Facebook sofort und ohne Nachfrage zu glauben und weiterzuverteilen, sofern sie nur irgendwie in Dein Weltbild passt. Beschwerst Dich, dass Du in die rechte Ecke gestellt wirst – Du stellst Dich doch selbst dorthin, indem Du Nazi-Jargon benutzt! „Lügenpresse“ ist zum Beispiel so ein Wort.

Natürlich gibt es mit dem Ansturm von Menschen jetzt eine Menge Probleme zu lösen, das bestreitet keiner, aber DIE Patentlösung hat wohl niemand. Es gibt keine Blaupause dafür. Noch nie seit dem zweiten Weltkrieg waren so viele Flüchtlinge weltweit unterwegs, und nur ein Bruchteil kommt überhaupt hier bei uns an. Es gab auch keine Blaupause, als über eine Million „Wirtschaftsflüchtlinge“ aus der DDR die damals viel kleinere Bundesrepublik „überschwemmt“ haben. Auch das haben wir geschafft, mit Bravour, und das Problem angepackt, ohne lange zu fragen.

Eines weiß ich aber auf jeden Fall: die allermeisten dieser Menschen, die sich jetzt auf den Weg nach Europa machen, sind in großer Not, aus welchen Gründen auch immer, mindestens ein Drittel davon sind nachweislich Kinder. Und wenn jemand in Not ist, helfe ich, ich spende Kleidung, ich gebe Geld, soweit ich kann, ich transportiere, ich packe mit an, ohne Wenn und Aber und ohne auf die Hautfarbe und die Herkunft zu gucken. Das ist mir völlig egal. Jeder dieser Menschen, denen ich bisher begegnet bin, ist unendlich dankbar, und das hat nichts, GAR NICHTS mit Geld zu tun. Vielleicht müsstest Du diese Erfahrung einfach auch mal machen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass ich mit meiner Einstellung viel näher dran bin an den sogenannten christlichen Werten des Abendlandes, die es ja angeblich so vehement zu verteidigen gilt; sehr viel näher dran als jeder, der dumme Parolen brüllt oder postet, ansonsten aber keinen Finger krumm macht. Außer, es gilt eine Bierdose zu öffnen.

Diese Parolenbrüller hatten wir in diesem Land schonmal, mit den selben Sprüchen – und wir wissen, wohin es geführt hat. Sie haben das Land, dass sie vorgeblich „verteidigen“ wollten, zugrunde gerichtet, und zwar mehr als gründlich. Mehr ging nicht. Ich will nicht, dass so etwas wieder passiert.

Wir sollen uns erst einmal um die Armen und Obdachlosen hier kümmern? Kümmerst DU Dich denn? Sag mir doch, wo Du Dich engagierst und was Du tust. Nichts vermutlich. Sonst wüsstest Du nämlich: Kleiderkammern, Tafeln und andere soziale Einrichtungen sind genauso für die Hilfsbedürftigen hierzulande da. Niemandem wird wegen der Flüchtlinge etwas weggenommen, im Gegenteil: es entstehen gerade sogar reihenweise neue Jobs, und auch die sozial Bedürftigen und Obdachlosen profitieren von der momentanen Welle der Hilfsbereitschaft, die an Dir offenbar bisher völlig vorbeigeschwappt ist.

Ich weiß nur zu gut, wie das ist, wenn man arbeitslos ist, von Amt zu Amt geschoben wird, eine Nummer ist, kaum Geld und dafür einen Haufen Schulden hat. Wie deprimierend das sein kann, wenn man seinem Kind nicht einmal den Schwimmbadbesuch zahlen kann. Wenn jedes neue Paar Schuhe eine mittlere Katastrophe ist. Wie verarscht man sich fühlt, von allem und jedem. Das habe ich alles selbst erlebt, und zwar jahrelang. Deshalb darf ich Menschen beurteilen, denen es ähnlich geht. Eins habe ich nämlich nie gemacht: anderen die Schuld dafür in die Schuhe geschoben. Ich war nie der Meinung, dass mir irgendetwas „zusteht“, einfach nur, weil es mich gibt. Ich hab nach jedem Strohhalm gegriffen, hab gearbeitet wie eine Blöde, um aus diesem Loch wieder rauszukommen, jeden Tag, jahrelang, und ich habe es geschafft. Darauf bin ich stolz und darf es auch sein. Stolz auf das, was ich selbst und aus eigener Kraft geschafft habe, und nicht auf irgendein nebulöses „Deutschtum“, was immer man sich darunter vorstellen soll. Stolz zu sein, nur weil ich zufällig das Glück hatte, in einem der reichsten Länder der Erde geboren zu werden, ist mir völlig fremd.

Diese Ecke der Bevölkerung, der Du Dich offenbar bereitwillig anschließt, wähnt sich in der Mehrheit. Dieser Eindruck entsteht zwangsläufig, wenn man sich immer nur in denselben Kreisen bewegt. Bei Facebook werden Fotos, Behauptungen, Videos geteilt und nochmal geteilt und erzeugen den Eindruck der großen Masse. Aber das ist falsch. Den 20.000, die in Dresden wieder aufmarschiert sind, halte ich hunderttausende, wahrscheinlich Millionen entgegen, die sich jeden Tag die Beine ausreißen, um zu helfen, und nicht nur das: diesen Staat zu organisieren in einer Phase, in der die Politik überfordert ist. Und sie machen das besser und vor allem schneller als alle Politiker zusammen. Und erst recht besser als die Parolenbrüller. Die sind zu gar nichts nütze. Die hindern nur die anderen daran, das zu tun, was nötig ist, weil man sich zusätzlich zu den immensen Aufgaben auch noch mit der Abwehr unsinniger Ansichten, Kommentare und Angriffe herumschlagen muss. Haltet doch einfach die Klappe und packt mit an – davon haben in diesem Eurem so kostbaren deutschen Land dann alle was. Und dann können wir alle zusammen stolz sein. Aus den richtigen Gründen.

Kirsten Wendt und Marcus Hünnebeck:
Mein Nachbar und ich

Nachbarn, die sich nicht ausstehen können, Kinder, die unzertrennlich sind, Hunde im Tierheim, hellsehende Nachbarinnen, ein Kita-Streik, böswillige Cousinen, ein filmreifer Auftritt – das sind die Zutaten, aus denen Kirsten Wendt und Marcus Hünnebeck ihren köstlichen Liebesroman gezaubert haben. Was für eine Idee, die spannenden Entwicklungen abwechselnd aus der Sicht der Protagonisten Vicky und Simon zu erzählen! Die beiden Autoren haben es wunderbar hinbekommen, die Tonlage des gesamten Buches wie aus einem Guss klingen zu lassen. Besonders überzeugend: die Schritte vom „sich-gegenseitig-nicht-ausstehen-können“ bis zu ersten Verabredungen, Berührungen, Kuss – nachvollziehbar, glaubwürdig und rettungslos romantisch. Ein ebenso humorvolles wie kurzweiliges Lesevergnügen.

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Zeit spielt keine Rolle

Hintergrundwissen „Zeit spielt keine Rolle“

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Wer sind die Hauptfiguren des Buchs, und warum hast Du sie ausgesucht?
Nun, man ist ja immer dankbar für interessante oder gar herausragende Protagonisten. Mein Lieblingsmotiv, die weltberühmte Gesangsgruppe mit Sängern aus vier Nationen, alle in den besten Jahren und mit sehr unterschiedlichen Charakteren, gut aussehend und in der Damenwelt begehrt, sind als Protagonisten eines Romans geradezu unschlagbar, weil Variationen in allen Richtungen möglich sind.

Du hast sie auf eine Zeitreise geschickt.
Ja, genau. Ich weiß nicht mehr, wann ich diese Idee hatte, aber damit hatte ich alle Möglichkeiten, mir eine bunte, lustige Geschichte auszudenken. Es hat mich interessiert, sie in eine Situation zu stecken, die für sie völlig neu ist, in der sie sich bewähren müssen, in der ihr Status als weltbekannte Künstler plötzlich keine Rolle mehr spielt, in der sie noch nicht einmal sagen dürfen, wer sie sind und woher sie kommen. Sie müssen sich ganz normal durchschlagen und irgendwie Geld verdienen, auf allen gewohnten Luxus verzichten. Das war eine Herausforderung. Aber sonst wird es ja auf Dauer langweilig mit den ewigen Liebesdramen im gehobenen Milieu. :-) Wobei die Liebe auch hier nicht zu kurz kommt, aber eher auf bittersüße Weise. Mehr wird hier nicht verraten. Das Motiv auf dem Cover hat auf jeden Fall damit zu tun, und müsste eigentlich bekannt vorkommen. 😉

Und wie bist Du ausgerechnet auf das Jahr 1969 gekommen?
Ich selbst war in dem Jahr noch Kind, kann mich aber recht gut an vieles erinnern. Trotzdem habe ich erst gemerkt, wie viel gerade in diesem Jahr in der Weltgeschichte passiert ist, und welche Auswirkungen manches hatte, als ich mich näher damit befasst habe. Alleine über Woodstock gibt es eine Unmenge an Material, und ich habe einen dicken Wälzer über das Festival zu Hause stehen. Die Mondlandung, Hippies, der Vietnamkrieg, Präsident Nixon – all das wurde durch die Recherche für mich plötzlich wieder lebendig und meine Hauptfiguren haben es miterlebt.

Was hat Dir beim Schreiben den meisten Spaß gemacht?
Am interessantesten und gleichzeitig am verwirrendsten war es, ständig darüber nachzudenken, welche Gegenstände es 1969 schon gab und welche nicht. An manches konnte ich mich noch erinnern, aber manchmal kam ich ganz schön ins Grübeln. Waschmaschinen gab es schon, das wusste ich noch, und Kaffeemaschinen gab es auch – aber auch für normale Haushalte? Waren die überhaupt erschwinglich? Und natürlich diese ganzen anderen Sachen, die für uns heute selbstverständlich sind, gab es nicht, Handys, Computer und so weiter. Und wenn es keine Handys gab, dann natürlich auch kein Handynetz, logisch. Da musste ich ein paarmal höllisch aufpassen.

Was sind die nächsten Pläne?
Ich habe hier noch eine angefangene Geschichte in der Schublade liegen, halb Liebesgeschichte, halb Abenteuer, die auf der Kanareninsel La Gomera spielen soll. Und, ganz ehrlich, mich würde auch locken, einen Krimi zu schreiben, möglichst einen humorvollen. Oder ein Kinderbuch. Es gibt ein paar Ideen dazu, aber mehr noch nicht. Da mir ja kein Verlag mit Abgabeterminen im Nacken sitzt, kann ich meine Ideen in Ruhe reifen lassen. :-) Einer der vielen Vorteile des Selfpublishings.

Der Himmel über Berlin

„Sei bitte nicht tot.
Würdest Du das für mich tun?
Hör einfach damit auf.“

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Es ist nicht so wie im Fernsehen. Es ist nicht so, dass Du mich beobachtest, während ich an Deinem Grab stehe. Es ist nicht so, dass Du irgendwann plötzlich wieder vor mir stehen wirst. Ich habe eine ganze Zeitlang gedacht, wenn ich es nur für unwahrscheinlich genug hielte und es mir fest genug wünschte, dann wärst Du nicht tot. Und dieser ganze Alptraum mit Telefonaten vor dem Krankenhausaufenthalt, mit Berichten und Fotos von der Intensivstation, mit Todesanzeigen, Nachrufen, dem Ordnen des Nachlasses, und dass ich jetzt mit Deinem Auto herumfahre, dessen Kennzeichen Deine Initialen und Dein Geburtsdatum sind – dann wäre das alles nur ein riesengroßer Betrug gewesen, ein Fake, und in Wirklichkeit bist Du nicht tot. Sondern versteckst Dich nur, weil…

Ja, warum solltest Du? Es gibt keinen Grund. Du warst dem Leben zugewandt, so offen, so herzlich, so verletzlich, gleichzeitig oft ungeduldig, manchmal sogar grob, aber eins warst Du vor allem: Du selbst. Ich wusste bei Dir immer, woran ich war, hatte nie das Gefühl, Dir etwas verschweigen zu müssen. Es gab diese ganz besondere Verbindung zwischen uns, vom ersten Moment an, die war immer da, auch wenn wir uns nur in großen Abständen gesehen haben. Wie Seelenzwillinge. Ich vermisse die spontanen Telefonate, in denen Du mir vor Vergnügen glucksend Geschichten erzählst, immer im Berliner Tonfall, manchmal auch abgleitend ins Vogtländische, wo Du herstammst. Ich vermisse die regelmäßigen SMS, die mit guten Sonntagswünschen hin und her gingen. Die Verbundenheit war viel tiefer als das. Ich wusste einfach, ob es Dir gut oder schlecht ging, und umgekehrt genauso. Herrschte zu lange Schweigen, rief einer von uns an und erkundigte sich besorgt.

Ich weiß, dass Du manchmal neben mir sitzt, wenn ich mit Deinem blauen Auto herumfahre. Ich glaube, Du wolltest, dass ich es bekomme, wenn Du nicht mehr da bist. Ich weiß noch, wie wir zusammen darin saßen und Du mir Berlin gezeigt hast. Immer warst Du dann ganz stolz, als hättest Du persönlich es erbaut. Über den Kudamm sind wir gefahren, über die Glienicker Brücke, wir waren am Wannsee und an dem Ort, wo Kleist ins Wasser ging, auf dem Tempelhofer Feld, bei Theaterpremieren, und gemeinsam bei der Museumsnacht unterwegs, fast alles mit diesem kleinen blauen Auto, an dem so viele Erinnerungen hängen. Immer gab es zu sehen und zu entdecken und vor allem zu lachen und zu erzählen. Immer. Ich aus dem Westen, Du aus dem Osten, und gemeinsam erkundeten, verwünschten und beratschlagten wir die neue, komplizierte, zusammenwachsende Welt, und waren dankbar, dass wir uns kennenlernen konnten.

Der Himmel über Berlin war für mich immer blau und wolkenlos. Seit dem letzten Sommer trägt der Himmel ein paar kleine, weiße Wölkchen, und auf einem davon sitzt Du und schaust dem Treiben auf der Erde zu, ich bin sicher. Denn immer ist da jetzt mindestens ein kleines weißes Wölkchen, wenn ich in Berlin bin und nach oben sehe. Das beruhigt mich. Du passt von dort oben auf mich auf.

Die Trauer kommt in Wellen. An guten Tagen freue ich mich, jetzt einen ganz persönlichen Schutzengel zu haben. An anderen Tagen wieder reicht ein kleiner Anlass und ich bin zu nichts mehr zu gebrauchen, weil ich unversehens über ein Foto, einen Erinnerungsfetzen, ein Andenken stolpere. Wenn ich daran denke, dass ich Dich auf Deinem letzten Weg nicht begleiten konnte. Wenn ich darüber nachdenke, was ich Dir alles sagen wollte und es verschoben habe. Wenn wieder zur Gewissheit wird, dass das Leben ohne Dich weitergeht. Du fehlst mir entsetzlich.

Manchmal bin ich ganz in Deiner Nähe. Dann sitze ich in dem Café, wo wir uns oft getroffen haben, denke an Dich, an unser letztes Gespräch und will sonst niemanden sehen. Oder ich bin auf dem Friedhof, wo Deine Urne begraben wurde. Ich habe keine Blumen dabei, und ich weiß, dass Du mir das verzeihst. Aber ich habe immer, immer einen kleinen Zettel in der Tasche, zusammengefaltet, und das Papier sorgfältig ausgesucht, auf dem eine Botschaft für Dich steht. Ich verbrenne den Zettel, dort, wo die Erde das birgt, was von Dir übrigblieb, und sehe zu, wie die Buchstaben, aufgelöst in Rauch, aufsteigen, bis zu Dir, bis zu Deiner Wolke. Ich schreibe auf, was ich Dir nicht mehr sagen konnte. Ich schreibe auch auf, was ich Dir nie sagen konnte, und irgendwann werde ich vielleicht alle Worte und allen Rauch hinaufgeschickt haben.

Irgendwo bist Du noch. Musst Du noch sein. Kannst Du nicht bitte nicht tot sein? Ich muss Dir noch so viel erzählen…

„Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein.“
Kleist, Prinz von Homburg

Dorotheenstädtischer Friedhof und Französischer Friedhof, Berlin

Endlich habe ich es geschafft, diese beiden zu besuchen, sie standen schon lange auf meiner Liste. Der Französische Friedhof bildet gemeinsam mit dem benachbarten Dorotheenstädtisch-Friedrichswerderschen Friedhof das bedeutendste erhaltene und noch genutzte Friedhofsensemble Berlins. Und meine Verwunderung war groß, dass er praktisch nur einen Steinwurf weit entfernt liegt vom nördlichen Ende der Friedrichstraße und in der Nähe der Oranienburger Straße, einer Gegend, in der ich schon oft unterwegs war.

Der Dorotheenstädtische Friedhof wurde 1762 angelegt (der Französische Friedhof  1780) und bis 1826 mehrmals vergrößert. Er ist auch als „Promi-Friedhof“ bekannt, denn zahlreiche bekannte Persönlichkeiten sind hier begraben: die Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Johann Gottlieb Fichte, die Schriftsteller Heinrich Mann, Bertolt Brecht, Johannes R. Becher, Arnold Zweig, Christa Wolf und Anna Seghers, der Regisseur Heiner Müller, die Baumeister Friedrich August Stüler und Karl Friedrich Schinkel, der Künstler John Heartfield, Schauspieler Bernhard Minetti, die Schauspielerin Helene Weigel und der Buchdrucker Ernst Theodor Litfaß, Alt-Bundespräsident Johannes Rau. Und schließlich – leider, leider – einer meiner Lieblingsschauspieler: Otto Sander.

Der Friedhof hat einfach „Flair“, wenn man das über einen Friedhof sagen kann. Irgendwie kann man es spüren, dass hier vor allem Künstler bestattet wurden, es liegt fast eine gewisse Heiterkeit über der gesamten Anlage. Ist in den letzten Jahren ohnehin in Mode gekommen, Gräber individuell zu gestalten, so kann man es hier sogar über die Jahrhunderte hinweg beobachten.

Zwei Trends der letzten Jahre sieht man auch in dieser Anlage: die jüdische Sitte, Steine auf das Grab zu legen, und eine andere: kleine Buddha-Statuen aufzustellen.

Meine ständige Rede: dass man jedem Grab ansehen kann, wieviel der Verblichene seinen Angehörigen und Freunden bedeutet hat. Aber noch nirgends fand ich positive und negative Beispiele so nah beieinander wie hier. Das wohl tristeste Grab, dass ich je gesehen habe, war das der Schauspielerin Jenny Gröllmann auf dem französischen Friedhof. In einer schmucklosen Vase zwei schon lange verwelkte Rosen, keine Bepflanzung, statt dessen hatte jemand wohl während des Winters Tannenzweige auf die Grabstätte gelegt, die inzwischen alle braun geworden waren. Hier hat sich schon lange niemand mehr gekümmert (Stand: Mai 2015). Ein sehr trauriger Anblick.

Und was für ein Gegensatz das Grab von Otto Sander. Da ist sofort jedem klar: dieser Mensch ist sehr geliebt worden. Unzählige frische Blumen in Vasen oder Töpfen, alles bepflanzt, die Grabstätte liebevoll mit großen Kieseln begrenzt, kleine Kunst- und Erinnerungsgegenstände, Figuren in allen Größen – wunderschön! Offenbar bekommt Otto regelmäßig Besuch… 😉

Ein Grabmal, das ich in seiner Ausdehnung und Ausstattung zunächst irritierend fand, hat mich dann aber doch sehr berührt: der Königliche Baurat Friedrich Hoffmann hat es 1855 für seine vier Kinder errichten lassen, die innerhalb weniger Wochen alle an Scharlach verstarben…

Hier meine Galerie:

 

Noch nie gesehene Filme

Meine Angewohnheit, Filme, die mir gefallen, mehrfach oder sogar vielfach anzusehen, stößt hin und wieder auf Unverständnis. Warum eigentlich? Man hört sich doch ein schönes Musikstück auch nicht nur einmal an, man betrachtet ein Kunstwerk ja auch nicht nur ein einziges Mal.

Es gibt eine Reihe Filme, die ich inzwischen auswendig mitsprechen kann. Die Auswahl geht quer durch den Garten, zugegeben meist Unterhaltungsfilme, aber die müssen schon auch gut gemacht sein. Nix mit „nackte Kanone“ oder so. Die von mir als Teenager so heißgeliebten Filme mit Terence Hill und Bud Spencer finde ich inzwischen nur noch blöd.

Von nicht unbeträchtlicher Länge dagegen ist die Liste allgemein populärer Filme, die ich NOCH NIE gesehen habe. Um nur einige Beispiele zu nennen: „Psycho“. Auch nicht „ET“. „Dirty Dancing“ ebenfalls nicht, was regelmäßig zu allgemeiner Verwunderung führt, weil ich den Witz mit der Melone nicht verstehe. Und schon gar nicht „Kevin allein zu Haus“. „Star Wars“ hab ich gesehen (vor ein paar Jahren, auf DVD), kann mich aber an nichts erinnern. In der Vorweihnachtszeit halte ich mich immer sehr bedeckt, wenn von den „Nüssen für Aschenbrödel“ die Rede ist. Man ahnt es: noch nie gesehen.

Was ist der Grund? Die meisten zeitgenössischen Filme bilden nun einmal die Zeit ab, in der sie entstehen. Es gibt bestimmte Modewörter und Anspielungen, auch wenn die nicht einmal bewusst eingebaut werden, die man später nicht versteht. Bestimmte Stimmungen und Sichtweisen, die man später nur schwer nachvollziehen kann. Manchen Film schaut man als Kind im Fernsehen und ist so ungeheuer beeindruckt, dass man den Film auch später noch immer wieder ansieht, weil sich das wunderbare Geborgenheitsgefühl der Kindheit mit dem Sonntagnachmittag vor dem Fernseher wieder einstellt.

Manches ist aus irgendeinem Grund „Kult“. Die „Rocky Horror Picture Show“, Ende der Siebziger/Anfang der Achtziger und bis heute bei den Fans ein absoluter Kultfilm, man schmeißt mit Reis und sonst noch was – diesen Film habe ich damals nie gesehen. Und irgendwann später einmal kam er im Fernsehen und ich rätselte, was mir das alles sagen soll.

Fazit: Ich denke, Filme finden einen, wenn die Zeit dafür da ist. Wenn der Film gerade zu mir und meinem Leben passt. Vielleicht fange ich an, mich plötzlich brennend für einen bestimmten Regisseur oder Schauspieler zu interessieren und starte eine private Retrospektive, wo dann auch bisher nie gesehene Filme dabei sind. Oder ich verfalle der Demenz und schaue nur noch Kinderfilme. Es ist also gut möglich, dass ET und Norman Bates und Aschenbrödel irgendwann später in meinem Leben noch eine Chance bekommen. :-)

Elke Bergsma: Fluchträume

Elke Bergsma: Fluchträume„Ostfriesen morden nie einfach, Hasenkrug.“

Nein, das tun sie ganz gewiss nicht, im Gegenteil. Ostfriesen sind stur, mundfaul, aber raffiniert, und machen Kommissar Büttner, der sich eigentlich auf seinen bevorstehenden Spanien-Urlaub freut, kurz vorher noch mit zwei seltsamen Fällen völlig kirre. Dazu ist gleich noch die halbe Polizeimannschaft wegen Magen-Darm-Grippe ausgefallen und Büttner und sein Assistent Hasen… äh… Hasenkrug müssen alles alleine stemmen. Sie kommen erst nach und nach dahinter, was es mit dem Entführungsfall einerseits und dem Fenstersturz mit tödlichem Ausgang andererseits wirklich auf sich hat. An dieser Stelle wird natürlich nichts verraten, nur so viel: Elke Bergsma ist wieder ein unterhaltsamer, spannender Krimi gelungen, der wie immer in ihrer Heimat Ostfriesland spielt. Liebenswerte Käuze, überdrehte Schüler, nervige Eltern, betrogene Frauen en gros – es bleiben keine Wünsche offen. Leseempfehlung: eine Kanne Ostfriesentee (mit oder ohne Rum) bereitstellen und schmökern.

Diebe! Räuber!
Zeter! Mordio!

Winterfutter für die Gartenvögel ist umstritten, es gibt Befürworter und Gegner: ich gehöre allerdings zu denen, die die kleinen Piepser draußen im Winter füttern, mag nun Schnee liegen oder nicht. Ich mag es einfach, sie zu beobachten, und nach kurzer Zeit schon wissen sie ganz genau, dass es etwas zu holen gibt, dass ich nachfülle, wenn ich mich im Winter im Garten blicken lasse. Sie sitzen dann schon in den Ästen auf der Lauer und stürmen das Futterhaus, sobald ich die Tür hinter mir zugemacht habe. In England ist die ganzjährige Fütterung der Gartenvögel übrigens absolut üblich. Aber das nur nebenbei.

Meistens benehmen sich Meisen, Rotkehlchen, Amseln, Tauben und was sonst noch alles die Futterstelle aufsucht, ganz manierlich. In diesem Winter (2014/2015) allerdings stellten wir fest, dass der Appetit der Kleinen enorm zugenommen hatte. Reichten das Futter im Futterhaus, die Nuss-Stangen und Futterbälle sonst meist mehrere Tage bis zu einer Woche, so herrschte nun schon nach zwei Tagen wieder Ebbe. Und wenn man der letzten Vogelzählung des Naturschutzbundes glauben darf, haben sich die einheimischen Singvögel im letzten Jahr nicht unbedingt verdoppelt oder verdreifacht.

Und dann das: Eines Morgens war das Futterhaus (das auf einem dreibeinigen Ständer aus Birkenästen festgeschraubt ist) verdreht. Jawohl, das ganze Haus. Dazu braucht man doch einiges an Kraft. Wenn man davon absieht, dass es mit Sicherheit keine Meisen gibt, die Bodybuilding betreiben, so sprach auch eine weitere Tatsache dagegen, dass Singvögel es geschafft hatten, das Häuschen herumzudrehen: nachts schlafen sie nämlich alle.

Igel schied aus, die können nicht gut genug klettern, und halten außerdem im Januar Winterschlaf. Eichhörnchen konnten es ebenso wenig gewesen sein, die sind nicht nachtaktiv. Wer also treibt sich nachts in unserem Garten herum und verdreht Futterhäuser??

„Das war ein Waschbär“, sagte ich zu meinem Mann. Keine Ahnung, wie ich auf die Idee kam. Aber sie blieb hängen und ich googelte spaßeshalber „Waschbär“ plus Wohnort. Und siehe da: es gibt hier welche. Bisher hatte ich Waschbär-Populationen in Deutschland eher in Brandenburg und Hessen verortet, aber doch nicht am Niederrhein! Ich stöberte zwei Zeitungsartikel aus dem letzten Sommer auf, in denen berichtet wurde, dass ein Waschbär einen Garten verwüstet habe. Wie sich herausstellte, nicht nur in der selben Stadt und im selben Ortsteil, nein, gleich den übernächsten Garten. Also praktisch nebenan.

Jetzt war ich nicht mehr zu halten: eine Wildkamera musste her, eine, die auf Bewegung und Wärme reagiert und sogar in stockdunkler Nacht Aufnahmen macht. Das hatte ich schon lange vorgehabt (um endlich dahinterzukommen, wer immer die Goldfische aus dem Teich klaut), und das war die Gelegenheit. Kamera besorgt, am nächsten Abend aufgehängt, am Morgen die SD-Karte in den Rechner gesteckt, und das Erstaunen war groß!

Neben einem recht dicken Waschbären tummelten sich auch noch zwei Steinmarder am und im Futterhaus! Der Waschbär zerrte an einer aufgehängten Nuss-Stange (und verdrehte das Futterhaus gleich wieder), und die Marder turnten auf dem ganzen Gestell herum, einer saß sogar im Häuschen und fraß unseren gefiederten Gästen das ganze Weichfutter weg.

Inzwischen können wir uns auch verschiedene Vorkommnisse im letzten Sommer erklären, die uns vorher Rätsel aufgegeben hatten: eines Morgens war die Pumpe aus dem Teich gezogen und lag oben auf dem Steg. Der Johannisbeerstrauch trug im Sommer statt über 4 Kilo Beeren nur kümmerliche 1 1/2 Kilo, obwohl er voll in Blüte gestanden hatte. Plattgetretenes Gras am Teichufer. Ein halb verzehrter (und natürlich toter) Frosch auf der Wiese. Und und und.

Meine Theorie ist, dass dem Waschbären im letzten Sommer durch den Sturm Ela seine Heimat geraubt wurde und er sich ein neues Revier gesucht hat. Waschbären schlafen nämlich gerne in Baumhöhlen, und viele hundert Bäume im Umkreis waren bei dem Unwetter zerstört worden.

Wie geht es nun weiter? Waschbären können recht aufdringlich und zerstörerisch sein, wenn sie Zugang zum Haus, Keller oder Gartenhaus erhalten. Da wir immer alles gut abschließen und wegschließen, besteht kaum Gefahr, dass wir eines Nachts ein zähnefletschendes Raubtier (und so klein sie sind, das sind Waschbären nun mal) in der Wohnung haben. Andererseits sind sie auch sehr scheu, unser Bursche haut beim gerinsten Geräusch sofort ab, deswegen ist die Gefahr wohl sehr gering. Und leider: Waschbären sind jagdbares Wild, wie es im Amtsdeutsch heißt. Deswegen fürchte ich gleichzeitig um den pelzigen Gesellen, der ja genau genommen nichts Böses tut – außer Rasen umgraben und Futterhäuser verdrehen. Wir werden sehen, wie es weitergeht und was ihm noch alles an Unfug einfällt. Die Winterfütterung wird jedenfalls zum Frühjahr eingestellt. :-)

(to be continued)